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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Hause. Papa wird bald anrufen«, murmelte Alicia.
Max nickte, ohne allzu große Überzeugung. Er mußte jetzt alles sorgfältig überdenken, was der Alte erzählt hatte, und versuchen, die Einzelteile des Puzzlespiels zusammenzufügen. Victor Kray, den die Anstrengung des Erinnerns offensichtlich in geistesabwesendes Schweigen versenkt hatte, schaute von seinem Lehnstuhl aus ins Leere.
»Max«, beharrte Alicia.
Max stand auf und richtete einen stillen Gruß an den Alten, der ihn mit einem leichten Kopfnicken erwiderte. Roland beobachtete den alten Leuchtturmwärter einen kurzen Moment lang, dann begleitete er seine Freunde nach draußen.
»Und was nun?« fragte Max.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte Alicia und zuckte mit den Schultern.
»Glaubst du die Geschichte von Rolands Großvater nicht?« wollte Max wissen.
»Das ist keine Geschichte, die man leicht glauben kann«, entgegnete Alicia. »Es muß eine andere Erklärung für das alles geben.«
Max richtete einen fragenden Blick auf Roland. »Glaubst du deinem Großvater auch nicht, Roland?«
»Möchtest du eine ehrliche Antwort?« erwiderte der Junge. »Ich weiß es nicht. Kommt, laßt uns gehen, bevor das Unwetter auf uns herunterstürzt. Ich begleite euch.«
Alicia stieg auf Rolands Fahrrad, und ohne weitere Worte machten sich die beiden auf den Rückweg. Max wandte sich um und betrachtete gedankenverloren das Haus des Leuchtturms. Vielleicht, überlegte er, hatten die Jahre der Einsamkeit, die Victor Kray hier an der Felsenküste verbracht hatte, dazu geführt, daß der alte Mann sich diese unheimliche Geschichte einzubilden begonnen hatte. Er selbst schien jedenfalls felsenfest an sie zu glauben. Max hielt sein Gesicht in den kühlen Nieselregen und stieg dann auf sein Fahrrad.
Die Geschichte von Cain und Victor Kray blieb in seinem Kopf lebendig, während er bergab fuhr und schließlich in die Straße einbog, die an der Bucht entlangführte. Im Regen radelnd, begann Max, die Vorfälle auf die einzige Weise anzuordnen, die ihm plausibel erschien. Wenn man annahm, daß alles, was der Alte erzählt hatte, wahr war, was sich nicht so leicht hinnehmen ließ, gab es für die Sache keine Erklärung. Ein mächtiger Magier, der in einen langen und tiefen Schlaf versunken war, schien langsam zum Leben zurückzukehren. Aus diesem Blickwinkel gesehen, war der Tod des kleinen Jacob Fleischmann das erste Zeichen seiner Rückkehr gewesen. Es gab jedoch etwas in dieser ganzen Geschichte, die der Leuchtturmwärter erzählt hatte, was nicht in Max' Kopf gehen wollte.
Die ersten Blitze erleuchteten den Himmel hochrot, und der Wind begann, mit aller Kraft dicke Regentropfen in Max' Gesicht zu peitschen. Er trat schneller in die Pedale, auch wenn seine Beine sich noch nicht von dem morgendlichen Marathon erholt hatten. Es blieben ihm noch einige Kilometer Weg bis zu dem Haus am Strand.
Max konnte die Erläuterungen des Alten nicht einfach annehmen und auf sich beruhen lassen. Die gespenstische Gegenwart des Skulpturengartens und die Ereignisse dieser ersten Tage im Dorf bewiesen ganz deutlich, daß sich ein unheimlicher Mechanismus in Gang gesetzt hatte und daß niemand vorhersagen konnte, was noch folgen würde. Mit oder ohne Rolands und Alicias Hilfe - Max war entschlossen, weiter nachzuforschen, bis er auf dem Grund der Wahrheit angelangt war. Er wollte mit dem einzigen beginnen, das direkt in den Mittelpunkt dieses Rätsels zu führen schien: mit den Filmen von Jacob Fleischmann. Je länger er über die Geschichte nachdachte, desto überzeugter war Max davon, daß Victor Kray ihnen nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Aber doch auch nicht viel weniger.
    Alicia und Roland warteten unter dem Vordach des Hauses, als Max, vom Regen durchnäßt, das Fahrrad in den Schuppen stellte und rannte, um sich vor dem starken Regenguß in Sicherheit zu bringen.
    »Das ist schon das zweite Mal in dieser Woche«, lachte Max. »Wenn das so weitergeht, werde ich tatsächlich noch schrumpfen. Du denkst bestimmt nicht daran, jetzt zurückzufahren, nicht wahr. Roland'?«
    »Ich fürchte, doch«, erwiderte Roland, während er den dichten Vorhang aus Wasser beobachtete, der mit Heftigkeit herunterfiel. »Ich möchte den Großvater jetzt nicht alleine lassen.«
    Die drei Freunde tauschten schweigend einen Blick.
»Ich glaube, das beste ist, wenn wir bis morgen nicht mehr über dieses Thema sprechen«, schlug Alicia vor. »Eine gute Nacht voller Schlaf wird uns helfen, alles

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