Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
Vom Netzwerk:
etwas viel Finstereres zu verstecken schienen. Ich spionierte Cains Zirkus zwei Wochen lang aus, und bald entdeckte ich, daß das abgenutzte gelbliche Zirkuszelt eine gefährliche Bande von Betrügern. Verbrechern und Dieben verbarg, die überall dort, wo sie vorbeikamen, ihre Raubzüge machten. Dr. Cain war beim Rekrutieren seiner Getreuen nicht wählerisch gewesen, und daher hinterließ sein Zirkus eine deutliche Spur von Verbrechen, verschollenen Menschen und Diebstählen. Ich stellte fest, daß dies der örtlichen Polizei nicht entgangen war, auch dort witterte man den üblen Geruch nach Korruption, der von diesem gaukelhaften Zirkus ausging.
Natürlich war sich Cain der Situation bewußt, und deshalb hatte er beschlossen, daß er und seine Freunde aus dem Land verschwinden mußten, ohne Zeit zu verlieren, und zwar auf eine unauffällige Weise und möglichst abseits der lästigen polizeilichen Dienstwege. Durch eine Spielschuld war ein holländischer Kapitän in seine Abhängigkeit geraten, und so wurde ihm zu rechter Zeit eine Gelegenheit wie auf dem Tablett serviert: Dr. Cain gelang es, eines Nachts an Bord der Orpheus zu gehen, um aus dem Land zu verschwinden. Und ich ging mit ihm.
Was in der Nacht des Unwetters geschah, kann nicht einmal ich selbst erklären. Ein schrecklicher Sturm trieb die Orpheus an diese Küste und schleuderte sie gegen die Klippen, was ein Leck in den Rumpf schlug. Das Schiff sank innerhalb von wenigen Augenblicken. Ich war in einem der Rettungsboote verborgen, das beim Aufprall des Schiffes auf den Felsen in die Höhe geschleudert und durch die Brandung auf den Strand geworfen wurde. Nur so konnte ich mich retten. Cain und seine Anhänger reisten im Kielraum, zwischen Kisten versteckt, aus Angst vor einer möglichen Militärkontrolle während der Überfahrt. Als das eiskalte Wasser das Innere des Schiffsrumpfes überschwemmte, begriffen sie wahrscheinlich nicht einmal, was da geschah...«
    »Trotzdem«, unterbrach ihn schließlich Max. »man hat die Körper nicht gefunden.«
Victor Kray schüttelte den Kopf.
»Bei Stürmen von dieser Stärke nimmt das Meer die Leichen oft mit sich«, sagte der Leuchtturmwärter mit Bestimmtheit.
»Aber es gibt sie zurück, auch wenn es erst Tage danach ist«, erwiderte Max. »Das habe ich gelesen.«
»Glaub nicht alles, was du liest«, sagte der Alte. »Obwohl es in diesem Fall stimmt.«
»Was kann dann geschehen sein?« erkundigte sich Alicia.
»Jahrelang hatte ich eine Theorie, an die nicht einmal ich selbst richtig glaubte. Jetzt scheint sie sich zu bestätigen . . .«
    »Ich war der einzige Überlebende des Schiffsbruchs der Orpheus . Als ich im Krankenhaus das Bewußtsein wiedererlangte, begriff ich, daß etwas Sonderbares geschehen war. Ich beschloß, diesen Leuchtturm zu bauen und an diesem Ort zu bleiben, aber den Teil der Geschichte kennt ihr ja schon. Ich wußte, daß diese Nacht nicht das Verschwinden von Dr. Cain bedeutete, sondern nur eine Pause. Deshalb bin ich all die Jahre über hier geblieben. Als Rolands Eltern starben, habe ich mich seiner angenommen, er war meine einzige Gesellschaft in meinem Exil.
    Aber das ist noch nicht alles. Jahre später beging ich einen fatalen Fehler. Ich nahm Kontakt auf mit Eva Gray. Vermutlich wollte ich wissen, ob alles, was ich durchlitten hatte, irgendeinen Sinn ergab. Nachdem Fleischmann damit meinen Aufenthaltsort erfahren hatte, kam er mich besuchen. Ich erklärte ihm, was sich ereignet hatte, und das schien ihn von allen Schreckgespenstern zu befreien, die ihn jahrelang gequält hatten. Er beschloß, das Haus am Strand bauen zu lassen, und wenig später wurde der kleine Jacob geboren. Es waren die besten Jahre in Evas Leben. Bis zum Tod des Kindes.
    An dem Tag, als Jacob Fleischmann ertrank, wußte ich, daß der Fürst des Nebels nie fortgewesen war. Er war im Dunkeln geblieben, hatte seelenruhig darauf gewartet, daß ihn irgendeine Kraft von neuem in die Welt der Lebenden brachte. Und nichts trägt so viel Kraft in sich wie ein Versprechen...«
Kapitel 11
    A ls der alte Leuchtturmwärter seinen Bericht beendet hatte, zeigte Max' Uhr, daß es wenige Minuten vor fünf Uhr nachmittags war. Draußen hatte ein schwacher Regen begonnen, auf die Bucht niederzufallen, und der Wind, der vom Meer her kam, schlug beständig gegen die Fensterläden des Leuchtturmhauses.
    »Ein Unwetter zieht auf«, sagte Roland, während er den bleiernen Horizont über dem Ozean beobachtete.
    »Max, wir müssen zurück nach

Weitere Kostenlose Bücher