Der Fürst des Nebels
war ihm angenehm, sie beobachten zu können, ohne daß sie seinen unruhigen Blick wahrnahm. Sie tauchten erneut auf, um Atem zu holen, und bemerkten, daß das Boot und Max' unbewegliche Gestalt an Bord nun mehr als zwanzig Meter entfernt waren. Alicia lächelte ihn begeistert an. Roland erwiderte ihr Lächeln, aber er dachte für sich, daß es das beste wäre, zum Boot zurückzuschwimmen.
»Können wir zum Schiff hinuntertauchen und hineinschwimmen?« fragte Alicia außer Atem.
Roland fiel auf, daß sie an den Amten eine Gänsehaut hatte.
»Heute nicht«, antwortete er. »Laß uns zum Boot zurückschwimmen.«
Alicia hörte auf zu lächeln. Sie spürte einen Anflug von Besorgnis bei Roland.
»Ist etwas, Roland?«
Roland lächelte sanft und schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt nicht von fünf Grad kalten Strömungen unter Wasser reden. In dem Moment, als Alicia die ersten Schwimmzüge in Richtung Boot machte, spürte Roland sein Herz schneller schlagen. Ein dunkler Schatten bewegte sich auf dem Grund der Bucht, zu ihren Füßen. Alicia drehte sich um und sah ihn an. Roland gab ihr ein Zeichen weiterzuschwimmen und tauchte den Kopf unter Wasser, um den Meeresgrund zu untersuchen.
Eine schwarze Silhouette, einem großen Fisch ähnlich, schwamm schlängelnd um das Wrack der Orpheus herum. Eine Sekunde lang glaubte Roland, es wäre ein Haifisch, aber beim zweiten Hinsehen konnte er erkennen, daß er sich getäuscht hatte. Er schwamm weiter hinter Alicia her, ohne den Blick von dieser merkwürdigen Gestalt abzuwenden, die sie zu verfolgen schien. Die Silhouette wand sich im Schatten des Wracks an der Orpheus entlang, ohne sich direkt dem Licht auszusetzen. Alles, was Roland erkennen konnte, war ein sehr großer Körper, ähnlich dem einer gewaltigen Schlange, und ein eigenartiger flackernder Schein, der ihn umgab wie ein Mantel aus matten Lichtreflexen. Roland sah zum Boot. Es war noch mehr als zehn Meter von ihnen entfernt. Die Figur unter seinen Füßen schien ihren Kurs zu ändern, sie schwamm nun ins Licht und stieg langsam zu ihnen herauf.
Er betete, daß Alicia sie nicht gesehen hatte, packte das Mädchen am Arm und begann aus vollen Kräften zum Boot zu schwimmen. Alicia sah ihn erschrocken an, ohne ihn zu verstehen.
»Schwimm zum Boot! Schnell!« schrie Roland.
Sein Gesicht spiegelte eine solche Panik wider, daß Alicia sich nicht damit aufhielt, nachzudenken oder zu widersprechen. Sie tat, was er ihr gesagt hatte, auch wenn sie nicht begriff, was gerade vor sich ging. Rolands Schrei hatte auch Max alarmiert, der vom Boot aus beobachtete, wie sein Freund und Alicia verzweifelt auf ihn zu schwammen. Einen Augenblick später sah er den dunklen Schatten, der im Wasser nach oben stieg.
»Mein Gott!« murmelte er, starr vor Schrecken. Roland schob Alicia im Wasser vor sich her, bis das Mädchen den Rumpf des Bootes erreicht hatte. Max
beeilte sich, seine Schwester unter den Achseln zu packen, um sie heraufzuziehen. Alicia schlug kräftig die Schwimmflossen, und mit diesem Schwung gelang es ihr, sich über Max hinweg ins Innere des Bootes zu heben. Roland holte tief Luft und wollte ihr folgen. Max streckte ihm vom Boot aus seine Hand entgegen, doch Roland konnte im Gesicht seines Freundes das Entsetzen erkennen vor dem, was er hinter ihm sah. Roland spürte, wie seine Hand von Max' Unterarm abrutschte, und eine dunkle Vorahnung sagte ihm, daß er wohl nicht mehr lebend aus dem Wasser kommen würde. Eine kalte Umarmung umklammerte seine Beine und riß ihn mit unaufhaltsamer Kraft in die Tiefe.
Nachdem die ersten Momente der Panik überwunden waren, öffnete Roland die Augen und betrachtete das, was ihn da mit sich in die Dunkelheit der Meerestiefe zog. Einen Moment lang dachte er, Opfer einer Sinnestäuschung zu sein. Was er sah, war keine feste Form, sondern eine merkwürdige Gestalt, scheinbar aus Wasser geformt, das zu sehr hoher Dichte konzentriert war. Roland starrte gebannt auf diese unbändige, bewegte Wasserskulptur, die fortwährend ihre Form änderte, und versuchte verzweifelt, sich aus ihrer tödlichen Umarmung herauszuwinden.
Die Wasserkreatur krümmte sich, und das Geistergesicht, das er in seinen Träumen gesehen hatte, wandte sich ihm zu: das Antlitz des Clowns. Der Clown öffnete seinen riesigen Schlund voller Fangzähne, lang und scharf wie Fleischermesser, und seine Augen weiteten sich, bis sie groß waren wie Kuchenteller. Roland spürte, daß ihm die Luft ausging. Dieses Geschöpf, was auch immer es
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