Der Fürst des Nebels
ihn, diesem wutentbrannten Blick die Stirn zu bieten. Das Geschöpf veränderte sein Gesicht, und Max erkannte den Steinengel vom Dorffriedhof wieder.
Rolands Körper hörte auf, sich hin und her zu winden, und blieb regungslos liegen. Das Geschöpf ließ ihn los, und Max schwamm, ohne dessen Reaktion abzuwarten, zu seinem Freund und packte ihn am Arm. Roland hatte das Bewußtsein verloren. Wenn Max ihn nicht bald an die Wasseroberfläche heraufbringen würde, würde er sterben. Max zog seinen Freund bis zur Tür. In diesem Moment stürzte sich das Geschöpf in Engelsgestalt und mit dem Gesicht des Clowns mit seinen langen Fangzähnen auf ihn und streckte dabei zwei scharfe Krallen aus. Max schlug mit der Faust nach ihm und durchbohrte das Gesicht dieses Wesens. Es war nichts anderes als Wasser, so kalt, daß die bloße Berührung mit der Haut einen brennenden Schmerz verursachte. Wieder einmal zeigte Dr. Cain seine Kunstgriffe.
Max zog seinen Arm zurück, und die Erscheinung verschwand – und mit ihr das Licht. Während er das bißchen Atemluft, das ihm geblieben war, fast ganz aufbrauchte, hievte Max Roland über den Gang des Schiffsraums aus dem Wrack hinaus. Als sie draußen ankamen, schienen seine Lungen kurz vor dem Platzen zu sein. Unfähig, auch nur eine Sekunde länger den Atem anzuhalten, stieß er alle Luft aus, die er angehalten hatte. Er packte Rolands bewußtlosen Körper und schwamm bis zur Wasseroberfläche, in dem Gefühl, jeden Moment selbst das Bewußtsein zu verlieren.
Der Todeskampf dieser letzten zehn Meter Aufstieg dauerte endlos lang. Als er endlich an der Oberfläche auftauchte, war er wie zum zweiten Mal geboren. Alicia stürzte sich ins Wasser und schwamm zu ihnen. Max atmete einige Male tief ein, während er gegen den stechenden Schmerz ankämpfte, den er in der Brust spürte. Roland ins Boot hinaufzubringen war nicht einfach. Alicia riß sich die Haut an ihren Armen am abgesplitterten Holz des Bootes auf, während sie sich abmühte, das tote Gewicht seines Körpers zu heben.
Doch endlich hatten sie es geschafft. Sie legten Roland mit dem Mund nach unten hin und drückten ihm immer wieder auf den Rücken. Seine Lungen mußten das Wasser wieder ausatmen, das sie inhaliert hatten. Alicia war schweißbedeckt und blutete an den Armen. Sie packte Roland an den Schultern und versuchte, die Atmung zu erzwingen. Als das nicht half, holte sie tief Luft und atmete, indem sie die Nasenlöcher des Jungen zuhielt, die gesamte Luft kräftig in Rolands Mund hinein. Sie mußte diese Beatmung fünfmal wiederholen, bis Rolands Körper mit einem heftigen Ruck reagierte und er begann, Meereswasser auszuspucken und krampfartig zu zucken, während Max versuchte, ihn festzuhalten. Schließlich öffnete Roland die Augen, und sein blasses Gesicht bekam langsam wieder Farbe. Max half ihm, sich aufzurichten, und nach und nach kam er wieder zu normalem Atem.
»Ich bin in Ordnung«, stammelte Roland. Er hob seine Hand und versuchte, seine Freunde damit zu beruhigen.
Alicia brach in Tränen aus und schluchzte so stark, wie Max es noch nie bei ihr erlebt hatte. Max wartete ein paar Minuten, bis Roland sich von selbst aufrecht halten konnte, ergriff die Ruder und nahm Kurs auf die Küste. Roland sah ihn schweigend und voller Dankbarkeit an. Max wußte, daß ihn dieser Blick für immer begleiten würde.
Die beiden Geschwister legten Roland auf die Pritsche in der Hütte am Strand und deckten ihn mit Decken zu. Keiner von ihnen wollte über das sprechen, was geschehen war, zumindest in diesem Augenblick nicht. Zum ersten Mal hatten sie die Bedrohung, die von dem Fürsten des Nebels ausging, am eigenen Leib erfahren, und es gab keine Worte für die Beunruhigung, die sie darüber empfanden. Der gesunde Menschenverstand schien ihnen zu sagen, daß es das beste war, sich um die praktischen Notwendigkeiten zu kümmern, und das taten sie auch. Roland hatte eine kleine Hausapotheke in der Hütte, in der es ein Mittel gab, mit dem Max Alicias Wunden desinfizieren konnte. Roland war innerhalb von wenigen Minuten eingeschlafen. Alicia beobachtete ihn mit verstörter Miene.
»Er wird wieder gesund werden. Er ist erschöpft, das ist alles«, sagte Max.
Alicia sah ihren Bruder an.
»Du hast ihm das Leben gerettet«, sagte sie. Das Zittern in ihrer Stimme verriet, daß sie mit ihren Nerven am Ende war. »Niemand sonst hätte das tun können, was du da getan hast, Max.«
»Er hätte es auch für mich getan«, sagte Max, der nicht
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