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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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nahelegen, vielleicht mag er einfach keine Amerikaner. Diese Sache beschäftigte mich viel länger, als sie es verdient hätte, ich spielte etliche Möglichkeiten durch, denen als unbewusster Ausgangspunkt allesamt zugrunde lag, dass er und ich eine Art Dritte-Welt-Empfindlichkeit teilten. Dann fragte mich einer meiner Kollegen etwas, und als ich mich ihm zuwandte, um ihm zu antworten, geschah etwas ganz Merkwürdiges. Ich schaute ihn an – seine blonden Haare und hellen Augen und vor allem, wie er in die Details unserer Arbeit versunken war, ohne etwas anderes wahrzunehmen – und dachte, du bist ja so ausländisch . In dem Moment fühlte ich mich dem philippinischen Fahrer viel näher als ihm; mir war, als spielte ich hier eine Rolle, wo ich doch eigentlich auf dem Heimweg sein sollte, so wie die Leute draußen auf der Straße.
    Natürlich sagte ich nichts, aber diese seltsame Kette von Ereignissen – oder besser Eindrücken, denn als Ereignisse konnte man sie ja kaum bezeichnen – hatte mich so sehr aus dem Gleis gebracht, dass ich in der folgenden Nacht kaum Schlaf fand. Aber zum Glück ließ die Intensität, mit der wir an unserem Projekt arbeiteten, nicht zu, dass ich mir weitere Anfälle von Schlaflosigkeit genehmigte; am Tag darauf blieb ich bis zwei Uhr morgens im Büro, und als ich dann in mein Hotelzimmer kam, schlief ich wie ein Murmeltier.
    Während meines Aufenthalts in Manila – ich traf Ende Juli dort ein und reiste Mitte September wieder ab – bestanden meine Kontakte zu Freunden und Familie hauptsächlich aus wöchentlichen Anrufen in Lahore und Mail-Korrespondenz mit Erica in New York. Wegen der Zeitverschiebung waren die Sachen, die sie morgens schrieb, bei mir abends in der Mailbox, und ich freute mich immer darauf, sie vor dem Zubettgehen zu lesen und zu beantworten. Ihre Mails waren ausnahmslos knapp; nie schrieb sie mehr als ein, zwei Absätze. Dennoch schaffte sie es, mit wenigen Worten eine Menge zu sagen. Eine Nachricht hatte ungefähr Folgendes zum Inhalt: »C. – Ich bin in den Hamptons. Heute haben mehrere von uns am Strand abgehangen, und ich habe allein einen Spaziergang gemacht. Ich bin auf einen Tümpel zwischen den Klippen gestoßen. Magst du solche Tümpel? Ich liebe sie. Sie sind wie kleine Welten. Vollkommen, eigenständig, transparent. Sie sehen aus, als wären sie in der Zeit stehen geblieben. Dann kommt die Flut, und eine Welle kracht herein, und sie fangen wieder von vorn an, mit neuen Fischen, die zurückgelassen worden sind. Na ja, als ich dann wieder bei den anderen ankam, fragten mich alle, wo ich denn gewesen sei, und da merkte ich, dass ich den ganzen Nachmittag dort verbracht hatte. Es war irgendwie unwirklich. Musste dabei an dich denken. – E.«
    Solche Nachrichten genügten, um mich für Tage aufzuheitern. Vielleicht finden Sie das ja übertrieben. Aber Sie müssen wissen, dass in Lahore, wenigstens als ich in die höhere Schule ging – heute sind die jungen Leute hier wie überall sonst vermutlich freier –, Beziehungen häufig nur über flüchtige Telefonate liefen, über Nachrichten durch Freunde und Versprechungen von Treffen, die nie Wirklichkeit wurden. Viele Eltern waren streng, und manchmal vergingen Wochen, ohne dass wir die, die wir als unsere Freundinnen betrachteten, sehen konnten. Und so lernten wir, die Verweigerung von Befriedigung zu genießen : die unamerikanischste aller Freuden! Ich jedenfalls kam mit solchen Mails, wie ich sie gerade beschrieben habe, ganz gut zurecht.
    Dennoch wollte ich Erica natürlich unbedingt wiedersehen und war daher bester Stimmung, als unser Projekt sich dem Ende näherte. Jim war hergeflogen, um sich von unseren Endergebnissen persönlich zu überzeugen; wir setzten uns bei einem Glas zusammen. »Na, Changez«, sagte er, unser feines Hotel, das Makati Shangri-La, mit einer schweifenden Hand erfassend, »schon gewöhnt an das Ganze hier?« »Durchaus, Sir«, entgegnete ich. »Alle berichten nur Gutes über Sie«, sagte er und machte eine Pause, um meine Reaktion abzuwarten; als ich lächelte, fuhr er fort: »Außer dass Sie zu hart arbeiten. Sie wollen doch nicht jetzt schon einen Burn-out.« »Ich darf Ihnen versichern«, sagte ich, »dass ich mehr als genug Ruhe bekomme.« Er hob eine Augenbraue und lachte auf. »Ich mag Sie, wissen Sie das?«, sagte er. »Wirklich. Und das ist kein Quatsch, kein Sag-ihm-was-Nettes-damit-der-Junge-Auftrieb-kriegt-Zeug. Sie sind ein Hai. Und wenn ich das sage, ist es ein

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