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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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ich dabei selbst tief verblüfft.
    Aber in dem Augenblick waren meine Gedanken nicht bei den Opfern des Angriffs – der Tod im Fernsehen bewegt mich immer dann am meisten, wenn er fiktiv ist und Figuren ereilt, mit denen ich über mehrere Episoden hinweg eine Beziehung aufgebaut habe –, nein, mich ergriff die Symbolkraft dessen, die Tatsache, dass jemand Amerika so sichtbar in die Knie gezwungen hatte. Ah, ich sehe, ich verstärke Ihr Missfallen nur noch. Das verstehe ich natürlich; es ist abscheulich, wenn ein Fremder über das Unglück des eigenen Landes Schadenfreude empfindet. Aber auch Sie können von solchen Empfindungen doch nicht vollkommen frei sein. Empfinden Sie keine Freude angesichts der Videoclips, die heute so weit verbreitet sind und in denen amerikanische Geschosse die Gebäude Ihrer Feinde in Schutt und Asche legen?
    Aber Sie befänden sich doch im Krieg, meinen Sie? Ja, da haben Sie nicht unrecht. Ich befand mich mit Amerika nicht im Krieg. Ganz und gar nicht: Ich war das Produkt einer amerikanischen Universität, ich bekam ein lukratives amerikanisches Gehalt, ich war in eine Amerikanerin verliebt. Warum wünschte also ein Teil von mir, dass Amerika Schaden zugefügt wurde? Damals wusste ich das noch nicht; ich wusste nur, dass meine Empfindungen für meine Kollegen nicht hinnehmbar sein würden, und ich tat alles, sie vor ihnen zu verbergen. Als mein Team abends dann in Jims Zimmer zusammenkam, gab ich mich ebenso schockiert und gequält, wie ich es auf den Gesichtern um mich herum sah.
    Doch als ich sie von ihren Angehörigen sprechen hörte, schweiften meine Gedanken zu Erica, und da brauchte ich dann nicht mehr zu heucheln. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass sich das Sterben auf den begrenzten Raum dessen beschränkte, was später Ground Zero heißen sollte. Ebenso wenig wusste ich, dass Erica zu Hause in Sicherheit war, als die Angriffe stattfanden. Ich war fast erleichtert, dass ich mich um sie sorgte und nicht schlafen konnte; das gestattete mir, die Besorgnis meiner Kollegen zu teilen und mein anfängliches Gefühl der Freude eine Zeitlang zu ignorieren.
    Wir konnten Manila mehrere Tage nicht verlassen, da die Flüge gestrichen waren. Am Flughafen wurde ich von bewaffneten Sicherheitsleuten in einen Raum gebracht, wo ich mich bis auf meine Boxershorts ausziehen musste – peinlicherweise hatte ich eine pinkfarbene mit Teddybären darauf angezogen, doch deren Enthüllung entlockte den strengen Mienen der Beamten keine Reaktion –, daher war ich der Letzte, der an Bord unseres Flugzeugs ging. Mein Erscheinen löste bei vielen Mitreisenden besorgte Blicke aus. Auf dem Flug nach New York war mir mein eigenes Gesicht unbehaglich: Ich spürte, dass man mich misstrauisch beobachtete, ich fühlte mich schuldig, daher versuchte ich, so lässig wie möglich zu sein, was natürlich dazu führte, dass ich steif und befangen wurde. Jim, der neben mir saß, fragte mich mehrmals, ob alles in Ordnung sei.
    Nach unserer Ankunft wurde ich bei der Passkontrolle von meinen Kollegen getrennt. Sie stellten sich in die Schlange für US-Bürger, ich mich in die für Ausländer. Die stämmige Beamtin, die meinen Pass überprüfte, trug eine Pistole an der Hüfte und beherrschte das Englische schlechter als ich; ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu entwaffnen. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?«, fragte sie mich. »Ich lebe hier«, antwortete ich. »Danach habe ich Sie nicht gefragt, Sir«, sagte sie. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?« Unser Wortwechsel ging so mehrere Minuten lang. Schließlich wurde ich zu einer Untersuchung in einen Raum gebracht, wo ich dann neben einem tätowierten Mann in Handschellen auf einer Metallbank saß. Mein Team wartete nicht auf mich; als ich endlich wieder in der Abfertigungshalle war, hatten sie schon ihr Gepäck geholt und waren gegangen. Folglich fuhr ich an dem Abend sehr allein nach Manhattan.
    Wovor zucken Sie zurück? Ah ja, die Fledermäuse, sie fliegen ziemlich tief. Sie werden uns nichts tun, diesbezüglich kann ich Sie ganz und gar beruhigen. Das wissen Sie, sagen Sie? Aber warum so kurz angebunden? Ich verstehe ja, dass ich Sie beleidigt, vielleicht sogar verärgert habe. Aber überrascht habe ich Sie vermutlich doch nicht ganz. Bestreiten Sie das? Nein? Das ist für mich von nicht unerheblichem Interesse, denn wir sind uns vorher noch nicht begegnet, und dennoch scheinen Sie zumindest einiges über

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