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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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meinen Erfahrungen, nach der Art des Sex und der Beziehungen zwischen Teenagern in Pakistan. Ich sagte ihr, bevor ich nach Amerika gekommen sei, hätte ich praktisch keinen Sex erlebt, und im Lichte dessen, was sie mir gerade erzählt habe, seien meine Beziehungen kaum der Rede wert gewesen. Dennoch seien sie auf ihre Weise wunderbar gewesen, sagte ich, und ich unterhielt sie stundenlang, wie es schien, mit Anekdoten aus Lahore. Einmal merkte ich, wie ich an die Decke starrte, als wären da die Sterne, und wir fingen beide an zu lachen. Endlich fühlten wir uns im Bett miteinander wohl, und als der Himmel allmählich hell wurde, musste ich ein freundliches Gähnen unterdrücken. Auch sie sei schläfrig, sagte sie, und ich könne sie besser als jedes Medikament beruhigen. So schliefen wir dann ein, nicht in den Armen des anderen, sondern Schulter an Schulter, und nur unsere Knöchel berührten sich. Vielleicht lag es an unserem Gespräch, dass ich nicht von Erica träumte, sondern von zu Hause; was sie träumte, habe ich nicht erfahren ...
    Jetzt, Sir, betrachten Sie mich aber mit einem ganz eigenartigen Ausdruck. Wahrscheinlich finden Sie es grob, dass ich Ihnen, einem Fremden, solche Intimitäten enthülle? Nein? Ich interpretiere Ihre Kopfbewegung einfach als Antwort. Sie müssen mir glauben, dass ich nicht immer so offen spreche, eigentlich fast nie. Aber der heutige Abend, da sind wir uns wohl einig, ist ein Abend von einiger Bedeutung . Jedenfalls für mich – und sollte ich mich irren, so dürfen Sie mich mit Fug und Recht für einen ganz ungehobelten Kerl halten!

7
    Heute, Sir, frage ich mich, inwieweit ich überhaupt an die Stabilität des Fundaments meines neuen Lebens glaubte, das ich mir in New York aufzubauen versuchte. Ich wollte daran glauben, gewiss, zumindest wollte ich keine starken Zweifel aufkommen lassen, um mich so weit wie nur irgend möglich davon abzuhalten, den naheliegenden Zusammenhang zwischen der bröckelnden Welt um mich herum und der drohenden Zerstörung meines persönlichen amerikanischen Traums herzustellen. Die Macht meiner Scheuklappen schockiert mich im Rückblick – so deutlich waren, im Nachhinein, die Vorzeichen der nahenden Katastrophe, in den Nachrichten, auf der Straße und im Zustand der Frau, in die ich mich verliebt hatte.
    In jenen September- und Oktoberwochen, als ich mit Erica herumzog, wurde Amerika von einer wachsenden und selbstgerechten Wut gepackt; das mächtige Heer, das ich hinter Ihrem Land vermutet hatte, wurde tatsächlich aufgestellt und in Marsch gesetzt – aber nach Hause, in Richtung meiner Familie in Pakistan. Wenn ich mit ihnen telefonierte, war meine Mutter verängstigt, mein Bruder zornig und mein Vater stoisch – das werde alles vorübergehen, sagte er. Ich fand Trost in den Ansichten meines Vaters, und ich hüllte mich in sie, als wären sie meine eigenen. »Machst du dir Sorgen, Mann?«, fragte mich Wainwright eines Tages in der Caféteria von Underwood Samson und legte mir teilnahmsvoll die Hand auf die Schulter, während ich mir einen Bagel mit Räucherlachs und Frischkäse machte. Nein, erklärte ich, Pakistan habe den Vereinigten Staaten seine Unterstützung zugesagt, die Vergeltungsdrohungen der Taliban seien bedeutungslos, meiner Familie werde nichts geschehen.
    So gut ich konnte, ignorierte ich die Gerüchte, die ich im Pak-Punjab Deli mithörte: Pakistanische Taxifahrer würden halb totgeschlagen, das FBI mache Razzien in Moscheen, Geschäften und sogar in Privatwohnungen, muslimische Männer verschwänden, vielleicht in dubiose Gefangenenlager, um verhört zu werden oder Schlimmeres. Ich redete mir ein, dass diese Geschichten überwiegend unwahr seien, die wenigen, die auf Fakten gründeten, seien sicher übertrieben, und außerdem beträfen die seltenen Fälle von Missbrauch, die leider eben doch durchsickerten, wohl kaum mich selbst, weil derlei Dinge in Amerika wie auch anderswo ausschließlich den bedauernswerten Armen widerfuhren, aber nicht Princeton-Absolventen mit einem Jahresgehalt von achtzigtausend Dollar.
    Derart mit meiner Leugnung gewappnet, konnte ich mich mit anhaltendem und beträchtlichem Erfolg auf meinen Job konzentrieren. Nach dem außergewöhnlichen Zeugnis, das ich für meine Arbeit auf den Philippinen erhalten hatte, war ich Jims Liebling geworden. Er bot mir eine weitere Mitarbeit in einem seiner Teams an, diesmal ging es um die Bewertung eines kränkelnden Kabelunternehmens. Die Firma hatte ihren Sitz in New

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