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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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ich fragte mich, ob mein Verlangen nach Erica ebenso aussichtslos war.
    Ericas Gesicht war jetzt entspannt; sie unterdrückte sogar ein Gähnen, als sie den Kopf an meine Schulter legte. Am Beginn des Abends war sie jedoch verstört gewesen, von Sorgen und Befürchtungen erfüllt. Wie so viele andere in der Stadt wirkte sie nach den Anschlägen zutiefst verängstigt. Doch ihre Ängste schienen nur indirekt etwas mit der Vision zu tun zu haben, durch Terroristen zu sterben. Durch die Zerstörung des World Trade Center waren, wie sie gesagt hatte, alte Gedanken in ihr aufgewühlt worden, die sich gleich einem Sediment am Boden eines Teichs abgesetzt hatten; nun war das Wasser ihres Geistes trüb von dem, was zuvor ignoriert worden war. Ich wusste nicht, ob das auch für mich galt.
    Wir schritten schweigend durch die Nacht, und wie der Zufall es wollte – nein, ich bin nicht ehrlich; der Zufall hatte nichts damit zu tun –, standen wir plötzlich vor meinem Wohnhaus. »Kann ich mit hochkommen?«, fragte sie. »Ich möchte gern sehen, wie du wohnst.« Ich hörte mein Herz hämmern, als wir die Treppe hinaufgingen; mein Studio lag im dritten Stock, einen Aufzug gab es nicht, Sie können sich also gut vorstellen, dass es einige Stufen zu überwinden galt. Mir war ein wenig bang davor, wie sie mein Studio wohl finden würde – schließlich war es nur einen kleinen Bruchteil so groß wie ihr Zuhause –, doch ich redete mir ein, dass es einen gewissen literarischen Charme besaß. »Es ist perfekt«, sagte sie und setzte sich auf den Rand meines Futons, der noch immer in seiner ausgerollten Bettversion dalag.
    Sie schloss die Augen, lehnte sich auf die Ellbogen zurück und lächelte schläfrig wie ein vertrauensvolles kleines Mädchen. Meine Blase war kurz vorm Platzen, daher sagte ich, ich sei gleich wieder da, und sauste auf die Toilette. Als ich wiederkam, schlief sie schon tief. »Erica?«, sagte ich. Keine Antwort. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und zögerte, bis ich schließlich das Licht ausmachte. Die Jalousien waren oben; der nächtliche Schein Manhattans fand seinen Weg herein, und ich beobachtete, wie sich ihre Brust beim Atmen sanft hob und senkte. Dann deckte ich sie mit einem Laken zu und warf ein Kissen für mich auf den Fußboden. Ich war erschöpft und hatte zusätzlich noch Jetlag, dennoch musste ich lange warten, bis mich Träume umfingen. Ich wachte am Morgen nicht auf, als sie mich, wie ich später erfuhr, vor dem Gehen auf die Stirn küsste.
    Aber schauen Sie! Da kommt ein Blumenverkäufer. Ich rufe ihn zu uns. Ihnen ist nicht danach? Aber gegen eine Blumenkette aus Jasminblüten haben Sie doch sicher nichts einzuwenden. Hier, nehmen Sie sie in die Hand: Haben sie nicht die Struktur von Samtkugeln? Eher wie von Popcorn-Shrimps, sagen Sie? Ach, Sie machen Witze; einen Moment lang habe ich geglaubt, Sie meinen es ernst. Doch Sie haben mich dadurch an eine Köstlichkeit erinnert, die uns hier in Lahore völlig fehlt, da wir so weit vom Meer entfernt sind. Was würde ich nicht alles für einen Topf amerikanischer Popcorn-Shrimps geben – in Teig ausgebacken, bis sie goldbraun sind, und mit einem Tütchen Tomatensoße serviert! –, aber ich muss mich mit den Blumen hier begnügen: in New York so selten, hier so normal.
    Wo war ich stehen geblieben? Richtig, ich habe Ihnen von Erica und meiner Rückkehr nach New York erzählt. Nachdem sie in meiner Wohnung geschlafen hatte, ging sie mit erfreulicher Regelmäßigkeit mit mir aus. Ich begleitete sie zu Spendenaktionen, wo sie Geld für die Opfer des World Trade Center sammelte, zu Essen in den Häusern ihrer Freunde – und es waren tatsächlich Häuser, Brownstones, die als Einfamilieninseln im Manhattaner Wohnungsmeer erhalten waren –, zu Eröffnungen und privaten Besichtigungen für Förderer der Künste. Ich wurde praktisch ihr offizieller Begleiter bei den Events der New Yorker Society.
    Diese Rolle gefiel mir sehr. Ich war tatsächlich so vermessen zu glauben, dass mein Leben genau so sein sollte , dass es gewissermaßen unausweichlich war, mit den richtig Reichen in solch gehobenen Sphären zu verkehren. Erica bürgte dafür, dass ich ihrer Kreise würdig war; meine Art des Auftretens zeugte – so redete ich mir ein – von meiner tadellose Kinderstube, und bei denen, die weitere Fragen stellten, genügten stets mein Abschluss in Princeton und meine Visitenkarte von Underwood Samson, um ein respektvolles, zustimmendes Nicken zu

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