Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
selbst wenn ich einwilligte, die Rolle eines Mannes zu spielen, der ich nicht war – ihr nicht geben konnte. Sehr wahrscheinlich sehnte sie sich nach ihrer Adoleszenz mit Chris, nach der Zeit, bevor sein Krebs ihr Unbeständigkeit und Sterblichkeit bewusst machte. Vielleicht war die Wirklichkeit ihrer gemeinsamen Zeit tatsächlich so wunderbar gewesen, wie sie sie mir mehr als einmal beschrieben hatte. Vielleicht war ihre Vergangenheit auch desto stärker, weil sie nur in ihrer Vorstellung existierte. Ich wusste nicht, ob ich an die Wahrheit ihrer Liebe glaubte; sie war eben eine Religion, die mich als Bekehrten nicht akzeptierte. Aber ich wusste, dass sie daran glaubte, und ich empfand mich als klein, weil ich ihr nichts von vergleichbarer Pracht bieten konnte.
In dem Jahr sah ich Erica nicht mehr. Thanksgiving wich bald der Dezemberkälte, und jede Woche – jeden Tag – überlegte ich, ob ich sie anrufen sollte, hielt mich aber immer zurück. Ihre Mutter hatte mich ja gebeten, dem Drang zu widerstehen, und vermutlich dachte ich, wenn ich mich ihr in ihrem inneren Kampf aufdrängte, würde ihr das nur schaden. Doch muss ich zugeben, dass meine Motive nicht ausschließlich edel waren; in mir waren mindestens noch Spuren des Zorns und der verletzten Eitelkeit, die den verschmähten Liebhaber kennzeichnen, und diese unwürdigen Empfindungen halfen mir, Abstand zu wahren. Dennoch sorgte ich mich weiter um Ericas Wohlergehen – und verharrte auch in einer gewissen, wahrscheinlich irrationalen Hoffnung –, weshalb die ständige Aufgabe, mich jeglicher Kommunikation zu enthalten, dem Kampf eines Mannes ähnelte, der versucht, sich von einer Sucht zu befreien.
Vielleicht lag es ja an meinem Gemütszustand, aber es schien mir, dass sich zu jener Zeit auch Amerika zunehmend einer gefährlichen Nostalgie ergab. Die Fahnen und Uniformen, die Generäle, die in Kommandozentralen in Kameras sprachen, die Schlagzeilen der Zeitungen mit Begriffen wie Pflicht und Ehre , das alles hatte etwas unbestreitbar Rückwärtsgewandtes. Ich hatte Amerika immer als eine Nation gesehen, die nach vorn schaute; zum ersten Mal fiel mir nun seine Entschlossenheit auf, zurück zuschauen. Das Leben in New York war auf einmal wie in einem Film über den Zweiten Weltkrieg; ich als Ausländer blickte nun auf ein Set, das nicht in Technicolor, sondern in einem grobkörnigen Schwarzweiß betrachtet werden sollte. Wonach sich Ihre Landsleute sehnten, war mir nicht ganz klar – nach einer Zeit unbestrittener Herrschaft? Der Sicherheit? Moralischer Gewissheit? Ich wusste es nicht –, aber dass sie sich danach drängten, die Kostüme einer anderen Ära anzulegen, war offensichtlich. Ich kam mir wie ein Verräter vor, weil ich mich fragte, ob diese Ära fiktiv war und ob sie – wenn sie denn tatsächlich belebt werden konnte – auch eine Rolle bereithielt, die für einen wie mich geschrieben war.
Aber was ist das? Ah, Ihr ungewöhnliches Telefon, das um Ihre Aufmerksamkeit piepst. Nein, Sir, es macht mir nicht das Mindeste aus; tippen Sie ruhig Ihre Antwort. Mir fällt auf, dass Sie mit der Präzision einer alten Kirchenglocke kontaktiert werden, womit ich meine, immer genau zur vollen Stunde – kontrolliert Sie etwa Ihre Firma? Nein, nein, Sie brauchen nichts zu erwidern. Nun, da Ihre Antwort abgeschickt ist, wollen Sie nicht einen Blick auf den Grill werfen, auf den gerade eben unsere entbeinten Hühnerteile zum Rösten gelegt werden? Sehen Sie nur die Funken, wie sie zornig und rot von der Kohle stieben, wenn unser Koch die Flamme anfacht. Ist doch schön anzusehen, oder? Und gleich – da , riechen Sie es? – zieht ein Aroma vorüber, bei dem Ihnen bestimmt das Wasser im Mund zusammenläuft.
Ich hatte Ihnen von der Nostalgie erzählt, die sich zu Beginn des letzten Winters, den ich in Ihrem Land verbringen sollte, in meiner Umgebung so stark ausbreitete. Aber ein rühmliches Bollwerk widerstand diesem Eindruck nach wie vor: Underwood Samson, das mich von früh bis spät ausfüllte und – als Einrichtung – überhaupt nicht nostalgisch war. Bei der Arbeit verfolgten wir die Aufgabe, die Zukunft ohne große Rücksicht auf die Vergangenheit zu gestalten, und meine eigene Effektivität wuchs weiterhin in dem Maße, wie ich mich in das Projekt bei der Kabelfirma vertiefte, wobei ich hoffte, die vielen Sorgen, die mich bedrückten, wenn ich meinen Gedanken freien Lauf lassen konnte, dabei hinter mir zu lassen.
Vermutlich war ich beim Streben
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