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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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nach den Fundamentals nie besser als da; ich analysierte Daten, als hinge mein Leben davon ab. Unser Kredo legte den größten Wert auf maximale Produktivität, und ein solches Kredo war für mich doppelt beruhigend, weil es in Zeiten großer Unsicherheit quantifizierbar – und daher fassbar –war und weil es von der Möglichkeit eines Fortschritts nach wie vor absolut überzeugt war, während andere sich nach einer Art klassischer Periode sehnten, die schon längst vergangen war, wenn es sie überhaupt jemals gegeben hatte. Ich nahm eine Veränderung in meiner Haltung gegenüber den Kollegen wahr, ein größeres Verständnis dafür, was sie veranlasste, sich so total auf ihr Berufsleben zu konzentrieren, und vielleicht lag es daran, dass es eine Zeitlang so aussah, als gehe es mit meiner Beliebtheit im Büro bergauf.
    Doch selbst bei Underwood Samson entkam ich der wachsenden Bedeutung des Begriffs Stamm nicht vollständig. Einmal, ich ging zu meinem Mietwagen auf dem Parkplatz der Kabelfirma, trat ein mir unbekannter Mann an mich heran. Er machte eine Reihe unverständlicher Geräusche – vielleicht »acbala-malachala« oder »chalapal-cha-lapala« – und kam mit dem Gesicht erschreckend nahe an meines. Ich drehte ihm meine Seite zu und hob die Hände auf Schulterhöhe, dachte, er sei verrückt oder betrunken oder wolle mich vielleicht ausrauben, weswegen ich mich darauf einstellte, mich zu verteidigen oder zuzuschlagen. In dem Moment erschien ein weiterer Mann, auch er starrte mich finster an, fasste aber seinen Freund am Arm und zog ihn fort, wobei er sagte, es lohne sich nicht. Widerstrebend ließ sich der erste wegführen. »Scheißaraber«, sagte er.
    Ich bin natürlich kein Araber. Auch bin ich von Natur aus nicht besonders streitlustig. Doch da pochte mir das Blut in den Schläfen, und ich rief ihm nach: »Sag’s mir ins Gesicht, du Feigling, und nicht, während du davonläufst.« Er blieb stehen. Ich schloss den Kofferraum auf und holte einen Schraubenschlüssel heraus; das kalte Metall seines Schafts lag hungrig in meiner Hand, und in dem Augenblick fühlte ich mich vollkommen in der Lage, ihn mit entsprechender Wucht zu schwingen, um meinem Gegenüber den Schädel einzuschlagen. Ein paar mörderische Sekunden lang standen wir starr da, dann wurde mein Widersacher weitergezerrt, und er verschwand, einen Schwall Obszönitäten ausstoßend. Als ich im Wagen saß, zitterten mir die Hände; in den Trikots der verschiedenen Mannschaften, in denen ich gespielt habe, hatte ich durchaus den einen oder anderen Kampf ausgefochten, doch diese Begegnung war von einer Intensität, wie ich sie noch nicht erlebt hatte, und es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder für fahrtauglich hielt.
    Wie er aussah, fragen Sie? Nun, Sir, er ... hm, wie seltsam! Ich kann mich an keine Besonderheiten des Mannes mehr erinnern, sein Alter oder seine Statur, ehrlich gesagt, kann ich mich überhaupt nicht mehr an viele Einzelheiten der Ereignisse erinnern, von denen ich Ihnen berichtet habe. Aber entscheidend ist ja auch der Kern der Sache, denn schließlich erzähle ich Ihnen ja eine Geschichte, und da kommt es, wie Sie mir als Amerikaner beipflichten werden, vor allem auf den Tenor dessen an, was man erzählt, nicht auf Detailgenauigkeit. Dennoch kann ich Ihnen versichern, dass alles, was ich Ihnen bisher erzählt habe, sich im Grunde mehr oder weniger so ereignet hat, wie ich es Ihnen geschildert habe.
    Aber wir wollen uns nicht ablenken lassen. Einige Tage nach dem Vorfall auf dem Parkplatz – gegen Ende unseres Projekts bei der Kabelfirma – fuhr ich wieder einmal mit Jim nach Manhattan zurück. Es war spät, und wir waren beide hungrig; als ich ihn absetzte, schlug er vor, uns bei sich zwei Tunfischsteaks zu braten. Seine Wohnung war nicht, wie man hätte erwarten können, in einem jener konservativen Gebäude in der Upper East Side mit livriertem Doorman, sondern in TriBeCa. Es war ein 360 Quadratmeter großes Loft im obersten Stock eines nichtssagenden Gebäudes in der Duane Street. Als ich es nun zum ersten Mal betrat, war ich beeindruckt, wie modisch es war, wie viel Wert augenscheinlich auf Design gelegt wurde. Nicht dass es vollgestellt oder gar in irgendeiner Weise feminin gewesen wäre, nein, wenn überhaupt, war es ganz minimalistisch, mit Zementfußböden und Röhren, die sichtbar unter der Decke verliefen. Aber jedes Möbelstück wirkte sorgfältig ausgewählt, entsprechend beleuchtet und aufgestellt, und an

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