Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
»Schreibst du hier?«, fragte ich. »Nein«, sagte sie, »nicht in dem Sinn, dass ich etwas zu Papier bringe. Aber ich denke viel nach. Ich stelle mir Sachen vor.« »Und komme ich manchmal in deinen Vorstellungen vor?«, fragte ich. »Manchmal«, sagte sie und lächelte. »Abartige Sexfantasien«, sagte ich, »mit einem exotischen Fremden, der gern Rollenspiele macht?« Sie lachte und drückte mir den Arm; zum ersten Mal wurde ihr Gesicht weich, beinahe verletzlich. Doch dann zog sie sich wieder in sich zurück. »Du hast mir geholfen«, sagte sie. »Du warst freundlich und wahrhaftig, und dafür bin ich dir dankbar.«
Was mich am meisten an ihrer Erklärung bestürzte, war die Bestimmtheit, mit der sie mich in die Vergangenheitsform setzte. Ich spürte, wie die Hoffnung in mir erlosch. Zwar sagte ich noch: »Sei nicht dankbar, sei lustvoll – komm mit mir zurück nach New York«, aber ohne jene innere Überzeugung, die Worten Macht verleiht; sie lehnte flüchtig den Kopf an meine Schulter, sah sich aber zu keiner Antwort veranlasst. Auf unserem Rückweg zum Hauptgebäude betrachtete ich sie aus den Augenwinkeln und überlegte, wie viel von ihrem distanzierten und scheinbar asketischen Zustand eine Folge der Medikamente war, die sie nahm. Einen Augenblick lang packte mich die wilde Vorstellung, sie zu entführen und in meinem Mietwagen mitzunehmen, da meine Zuwendung sie gewiss mit mehr Erfolg in die Wirklichkeit zurückholen würde als die Chemikalien, denen sie sich aussetzte. Doch die Absurdität einer solchen Tat – und die Respektlosigkeit ihr gegenüber – wurden mir sogleich klar, und ich tat nichts Derartiges.
»Fährst du Ski?«, fragte sie mich. »Nein«, sagte ich, »das habe ich nie gemacht.« »Chris und ich«, sagte sie, »waren jeden Winter Ski fahren – meistens in Colorado, manchmal auch in Vermont. Als Kinder haben wir hin und wieder sogar auch ein bisschen Langlauf im Central Park gemacht. Wir bekamen jeder ein Paar Ski geschenkt und sind dann losgezogen, ohne jemandem etwas zu sagen. Natürlich kriegten wir Schwierigkeiten. Unsere Eltern riefen die Polizei. Trotzdem hat es Spaß gemacht. Diese Gegend hier erinnert mich jedenfalls daran. Besonders der Schnee auf dem Hang da. Er ist so sanft und wirkt so weich. Solltest du mal machen.« Wir hatten den Kies der Zufahrt erreicht. »Nimm mich doch mal mit«, sagte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht«, sagte sie, »aber geh trotzdem. Versuch, glücklich zu sein, ja? Das alles tut mir so leid. Bitte pass auf dich auf.«
Sie umarmte mich, dann stand sie da und schaute mich an. Aber er ist doch tot! , wollte ich schreien. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, sie nicht zu küssen; vielleicht hätte ich es tun sollen. Ich musste mich entscheiden, ob ich weiterhin versuchen sollte, sie für mich zu gewinnen, oder ihren Wunsch akzeptieren und gehen, und schließlich wählte ich Letzteres. Vielleicht, sagte ich mir, als ich davonfuhr, war das ja ein Test, und ich bin durchgefallen, vielleicht hätte ich es riskieren sollen. Fast wäre ich umgekehrt und zurückgefahren, aber dann tat ich es doch nicht. Alles hätte sich ganz anders entwickeln können, wenn ich kehrtgemacht hätte, aber es hätte auch ganz genauso kommen können.
Danach gab ich im Büro eine klägliche Figur ab, war wütend und mit meinen Gedanken bei Erica und zu Hause. Ich vernachlässigte meine Verwaltungstätigkeiten und unternahm rein gar nichts, um mir eine neue Aufgabe zu suchen. Fast erwartete ich, dass jemand mit einem blauen Brief zu meinem Schreibtisch kam und mich aus meinem Elend erlöste. Stattdessen rief Jim mich zu sich, um mir einen überraschenden Beweis seiner Anerkennung zu liefern. »Hören Sie, junger Mann«, sagte er, »hier finden manche, dass Sie ein bisschen abgerissen herumlaufen. Der Bart und so. Mir ist das, ehrlich gesagt, scheißegal. Was zählt, ist Ihre Performance, und in Ihrer Klasse sind Sie bei weitem der beste Berater. Außerdem weiß ich, dass es hart für Sie sein muss, was da gerade in Pakistan abgeht. Sie brauchen Beschäftigung, was zugegebenermaßen nicht einfach ist, wenn wir so eine Flaute haben wie jetzt. Aber ich habe ein neues Projekt, die Bewertung eines Buchverlags in Valparaiso, Chile. Es wird ein kleines Team sein müssen, nur ein Vizepräsident und ein Berater. Normalerweise würde ich es einem mit mehr Erfahrung anbieten. Aber ich biete es Ihnen an. Was halten Sie davon?« »Vielen Dank, Sir«, murmelte ich. Er
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