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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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politische Bedeutung der Angelegenheit. In Jahren wie diesen mochte bereits ein Funke ausreichen, um einen Flächenbrand zu entfachen, der sich weit über die Grenzen Hamburgs hinaus ausdehnen konnte. Der Pariser Aufstand vor zwölf Jahren hatte jedem in Europa deutlich gemacht, dass in Frankreich noch immer das Feuer der Revolution schwelte. Burschenschaftler, Kommunisten und Liberale im gesamten Deutschen Bund hatten wieder Hoffnung geschöpft. Doch die Forderungen nach Schwurgerichten, Bauernbefreiung, Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit waren bis heute weitgehend unerfüllt geblieben. Ebenso wie der allzu romantische Wunsch nach einem einheitlichen deutschen Verfassungsstaat. Die Politik Metternichs hatte bislang alle nationalen Regungen im Keim erstickt. Doch wie lange mochte das noch gut gehen? Auch im vergleichsweise liberalen Hamburg lebten genügend Unzufriedene, die nur auf eine Gelegenheit warteten, der Obrigkeit Versagen vorwerfen zu können.
    Man saß auf einem Pulverfass. Und Kettenburg würde nicht zulassen, dass sich die Lunte ausgerechnet in Hamburg entzündete.
    Natürlich bekleidete er nicht die Stellung, das späte Engagement des hochmögenden Herrn Polizeisenators in Frage zu stellen. Senator Binder sollte sich jedoch bei allem Respekt bewusst sein, dass sich die Suche nach dem Mörder keineswegs als leicht erweisen würde.
    Insgeheim wünschte sich der Polizeiaktuar, ihm würden ebensolche Mittel wie seinen Kollegen in Berlin zur Verfügung stehen. Obwohl er von der preußischen Lust, alles und jeden zu kontrollieren, eher angewidert war, hatte man dort immerhin die kluge Idee geäußert, die Verbrecher und Vagabunden mit einem ausgeklügelten Karteisystem zu erfassen. Sogar die Einrichtung einer eigenen Kriminalpolizei war in Preußens Hauptstadt im Gespräch.
    Er hingegen konnte nur auf die Hilfe von drei Dutzend Officianten zurückgreifen, von denen allgemein bekannt war, dass sie sich bestechen ließen. Ebenso wie das disziplinlose Corps der Nachtwache, dessen Mitarbeit ihm der Polizeisenator zugesichert hatte.
    In der Stadt wurden die Nachtwächter spöttisch Uhlen genannt. Eulen. Ihre Besoldung war derart dürftig, dass sie tagsüber gezwungen waren, Nebenbeschäftigungen nachzugehen. Jeder Hamburger wusste, dass das schneidige Auftreten des Corps während des allabendlichen Appells auf dem Pferdemarkt nichts als Augenwischerei war. Viele der Männer holten bereits kurz nach Dienstantritt irgendwo in der Stadt den versäumten Schlaf nach. Dass heute ausgerechnet ein Uhle das achte Opfer gefunden hatte, schrieb der Polizeiaktuar eher dem Zufall als geflissentlicher Diensterfüllung zu.
    Kettenburg seufzte und riskierte einen Blick durch eines der Droschkenfenster. Trotz der Laterne vorn beim Kutschbock konnte er kaum etwas erkennen. Dennoch war er sich sicher, dass sie Zeughaus und Pulverturm bereits hinter sich gelassen hatten. Ungeduldig klopfte der Polizeiaktuar mit dem Wappenknauf seines Dienststocks gegen die Scheibe zum Fahrerstand.
    »Claas, wie lange dauert das noch?«
    In diesem Augenblick rumpelte es unter der Droschke. Ohne Zweifel Holzbohlen. Offenbar passierten sie soeben die Schaarthorbrücke.
    »Nur noh’n Oogenblick!« antwortete sein Fahrer. »Dor hinnen sünd all Lichters to erkennen!«
    Wenige Minuten später kam der Zweispänner zum Stehen. Kettenburg hatte gerade noch genug Zeit, den Kragen seines Uniformrocks zurechtzurücken, als er auch schon Stimmen vernahm. Kurz darauf wurde der Verschlag geöffnet, und jemand leuchtete ins Innere der Kutsche. Der Polizeiaktuar blinzelte. Vor ihm standen zwei Gemeine des Nachtcorps, wie er an den Schirmmützen und den klobigen Mänteln erkannte. Der dickere der beiden trug einen auffallend dichten Vollbart. Sein Kamerad indes war hager, und die kurze, spitze Nase in dem schmalen Gesicht erinnerte Kettenburg an den Schnabel einer Möwe. Beide hielten Lanzen und Blendlaternen in den Händen und wirkten äußerst aufgeregt.
    »Herr Polizeiaktuar?«
    »Herrgott!« raunzte Kettenburg. »Könnt ihr nicht woanders hinleuchten?«
    »’tschuldigung«, stammelte der Dicke und senkte die Leuchte.
    Kettenburg stieg aus der Droschke und rümpfte die Nase. Ohne Zweifel hatten die beiden Wacher getrunken. Zu ihren Gunsten wollte er annehmen, dass sie dem Fusel erst nach dem Leichenfund zugesprochen hatten. Unwirsch sah er sich in der Straße um. Sie wurde von schiefen Häusern gesäumt, über deren Fassaden beklemmende Schatten huschten.

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