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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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verkauft sie denn?«, erkundigte sich Igor.
    »Was verkaufen sie wohl in der Fischreihe? Fisch. Ihr Mann ist Fischer. Er fängt, sie verkauft.«
    »Zeigst du sie mir?«
    »Warum nicht?! Jeder kann sie sehen, auf dem Markt! Man hört sie auf hundert Meter…«
    [92] Igor nickte. »Gut, schlafen wir ein bisschen, und morgen früh – auf den Markt!«
    In seinen Kleidern legte Igor sich auf das alte, mit unsichtbaren Sprungfedern gespickte Sofa, nur den Gürtel mit dem Pistolenhalfter und die Mütze nahm er ab. Er deckte sich zu, und den erschöpften Körper zog es in den Schlaf, aber da widersetzten sich die ruhelosen Gedanken. Er bekam Angst, dass er, wenn er jetzt einschlief, in seinem gemütlichen Schlafzimmer zu Hause in Irpen aufwachen würde, ohne etwas herausgefunden und ohne diese rote Walja gesehen zu haben, die auf dem Markt von Otschakow mit Fisch handelte. Und was dann? Wieder Kognak trinken und auf die dunkle Straße hinausgehen? Aber gleichzeitig erkannte Igor, dass ihm, ob er wollte oder nicht, die völlige Kapitulation vor dem Schlaf bevorstand. Und das hieß, er musste auf das Beste hoffen und sich auf alles gefasst machen. Einen Plan für den nächsten Morgen gab es schon, und, ließ man all die quälenden Überlegungen über wirkliche Welt und Parallelwelt beiseite, dann konnte er morgen früh – die Chance bestand – auf den Otschakower Markt des Jahres 1957 geraten. Und in dem Fall – er befühlte noch einmal die beiden Hosentaschen, in denen sich erfreulich die Geldpäckchen herausbeulten – würde er dort auch etwas kaufen für diese Scheine, aus denen man problemlos Tütchen für Sonnenblumenkerne drehen konnte, so groß waren sie!
    Es war noch kaum sechs Uhr morgens, da tönte und klang es vor dem Fenster. Igor schlug die Augen auf, sah sich schnell um und überprüfte, wo er aufgewacht war. Das Gefühl, dass der Traum noch andauerte, beruhigte ihn ein [93] wenig – über sich sah er die hohe hölzerne Sofalehne, sah Spiegel, Regal und schwarzgemasertes, mit breiten Polsternägeln beschlagenes Kunstleder.
    Gerade fasste er die zwei Porzellanfigürchen auf dem Regal ins Auge, als die Zimmertür aufging und Wanja hereinkam, schon angezogen und sich aus einem Fläschchen Eau de Cologne die Wangen bespritzend.
    »Einen schönen guten Morgen!«, sagte er munter. »Also, auf den Markt, ja?«
    Igor warf die Decke ab, erhob sich, zog die leicht zerknitterte Uniform zurecht und schlüpfte in die Stiefel, die vor ihm auf dem Holzboden standen.
    »Und wo ist bei euch hier die Toilette?«, fragte er.
    »Draußen, hinterm Haus.«
    »Und das Bad? Um sich zu waschen?«
    »Auch draußen, gleich um die Ecke. Dort hängt ein Waschbecken an der Schuppenwand.«
    »Hm«, machte Igor, warf einen Blick auf seine Mütze und wandte sich zur Tür. »Und wo ist deine Mutter?«, erkundigte er sich bei Wanja.
    »Sie ist schon auf dem Markt, wir sind hier frühes Volk, ab sechs bei der Arbeit, ab drei betrunken!«, sagte der Bursche lächelnd.
    Da er nun wusste, dass sonst niemand im Haus war, ging Igor schon mutiger hinaus auf den Hof und fand gleich das Waschbecken. Er wusch sich. Von gestern Nacht hatte er noch den sauren Geschmack des Weins auf der Zunge. Igor spülte den Mund mit Wasser aus, doch den Weingeschmack wusch das nicht weg. Er besah sich das Holzbrett, das gleich neben dem Waschbecken an die Schuppenwand genagelt war. [94] Zwei Seifenreste lagen da, eine Blechdose, ein paar zerfranste Zahnbürsten, keine einzige Tube Zahnpasta.
    Igor schob die herumliegenden Bürsten auseinander, aber fand auch darunter keine Zahnpasta. Er öffnete die Blechdose, sie enthielt ein weißes Pulver.
    ›Für die Zähne vielleicht?‹, überlegte er. Er hatte davon gehört, dass man sich früher die Zähne mit Pulver putzte, und nicht mit Paste.
    Die Bürste, die am besten aussah, hielt er unter den Wasserhahn, tauchte sie in das Pulver und hob sie hoch – sie war jetzt ordentlich beladen, selbst die Finger spürten das neue Gewicht. Vorsichtig kostete er das Pulver – geschmacklos! Er schrubbte sich damit die Zähne, spülte den Mund von neuem, und da hatte der Weingeschmack sich von der Zunge gelöst, war restlos verschwunden.
    »Ich habe Kakao gekocht.« Wanja empfing ihn im Vorzimmer mit einem weißen Emaillebecher. »Hier, trinken Sie!«
    Der Kakao erwies sich als unmäßig süß. Igor setzte sich mit dem Becher an den Küchentisch und sah aus dem Fenster, dessen halbdurchsichtiger Spitzenvorhang irgendwie an Papier

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