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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Sehenswürdigkeiten?«
    »Was für Sehenswürdigkeiten?«, fragte Wanja betreten.
    »Zum Beispiel das Haus dieses Fima Tschagin.«
    »Wie, Sie kennen es nicht?« In der Stimme des Burschen klang mehr als einfach Verwunderung – eine plötzliche Herablassung, als hätte er auf einmal erkannt, dass er keinen Leutnant der Miliz vor sich hatte, sondern irgendeinen Dorftrottel.
    »Doch, doch, ich kenn es. Aber es wäre gut, sich das noch mal anzuschauen… mit zwei Paar Augen!«
    Wanja hörte das Vertrauen heraus, das ihm [89] entgegengebracht wurde, die Achtung vor seiner Person, und widersetzte sich nicht mehr. Bereitwillig erhob er sich und wandte sich zur Tür.
    »Gehen wir«, sagte er. »Ich zeige Ihnen eine Abkürzung!«
    Wanja führte Igor auf die unbeleuchtete Straße hinaus. Nach etwa dreißig Metern bogen sie links ab, überquerten einen verlassenen Hof, einen alten Obstgarten und landeten in einer anderen Straße. Diese Straße, das sah man, war bedeutender, auf ihren Kreuzungen standen Laternen nicht nur der Ordnung halber, sondern machten Licht. Und Häuser gab es hier massivere, gemauerte, einstöckige. In ihren dunklen Fenstern spiegelte sich die Nacht.
    »Da ist es!«, flüsterte Wanja und wies auf ein unansehnliches Gebäude mit ungewöhnlich hohem Sockel. Als Igor die Stufen sah, die zu der zweiflügeligen Holztür hochführten, erinnerte er sich sofort an seine Reise nach Otschakow mit Stepan.
    Sie blieben stehen. Von irgendwo aus der Ferne drang das wilde Brüllen eines Motorrads herüber. Igor lauschte.
    »Bei Fima schlafen sie nicht!«, sagte Wanja mit einem Blick hinters Haus.
    Igor schaute verständnislos zu den dunklen Fenstern der Fassade. »Wie kommst du darauf, dass sie nicht schlafen?«, fragte er Samochin.
    Wanja wies zur rechten Hausecke. Als Igor genauer hinsah, bemerkte er, dass es dort, hinter der Ecke, irgendwie heller war, als fiele aus einem von hier aus unsichtbaren Fenster Licht auf die Erde.
    Mit einer Handbewegung befahl Igor Wanja, ihm zu folgen. Am Gartentörchen machten sie halt.
    [90] »Hat er einen Hund?«, fragte Igor flüsternd.
    »Nein! Der würde sonst tagelang bellen…«
    »Wieso?«
    »Er hat viel Besuch… Hunde mögen so ein Treiben nicht.«
    Igor nickte. Und da ließ ein leiser Knall ihn erstarren, er spitzte die Ohren. Männerstimmen erklangen irgendwo in der Nähe. Igor sah sich nach Wanja um und wies auf den ausladenden, niedrigen Apfelbaum, der fünf Meter weiter gleich am Zaun wuchs. Schnell liefen sie hin und krochen unter seine Äste, an denen noch ein paar Früchte hingen.
    Tschagins Haustür ging auf. Zwei Männer traten heraus und zündeten sich eine Zigarette an.
    »Wann kommt er zurück?«, fragte der eine.
    »In zwei, drei Jahren, vielleicht vorher. Wenn sie die Haft verkürzen.«
    »Das wäre gut! Soll er dann von dir einen Gruß schicken!«
    »In Ordnung«, sagte der zweite, schwang einen Armeesack über die Schulter, kam die Stufen herunter und ging zum Gartentor.
    »Josip!«, rief der, der an der Haustür geblieben war, warf den Stummel zu Boden und trat ihn mit der Stiefelspitze aus.
    »Was?« Josip wandte sich um.
    »Und wenn er in drei Jahren nicht zurückkommt?«
    »Und wenn er kommt, und du bist weg? Oder das Haus ist abgebrannt?«
    »Beschrei es nicht, Josip! Was sagst du denn da! Wenn das Haus abbrennt, dann verbrenn ich lieber gleich mit…«
    »Na, na!«, brummte Josip. »Du malst den Teufel selbst an die Wand! Er kommt zurück!«
    [91] Das Gartentörchen knarrte. Josip trat hinaus auf die Straße, spuckte aus und schritt davon.
    Die Haustür schloss sich. Wieder wurde es still. Igor und Wanja krochen unter dem Baum hervor. Wanja riss einen Apfel ab und biss schmatzend hinein, worauf Igor herumfuhr und ihn vorwurfsvoll ansah.
    »Was ist denn?!«, flüsterte Wanja. »Hier ist doch niemand, und ich habe Hunger…«
    »Kennst du diesen Josip?«, fragte Igor.
    Wanja schüttelte den Kopf.
    »Und den anderen?«
    »Das ist doch Fima Tschagin.«
    »Fima?«, wiederholte Igor nachdenklich. »Aber er ist ganz jung…«
    »Warum soll er alt sein?« Wanja zuckte die Achseln.
    »Also, was hast du nun für mich herausgefunden?« Igor waren Wanjas Worte von vorhin, am Tor der Kellerei, eingefallen.
    »Ah! Meine Mutter hat erzählt, dass Fima und die rote Walja was miteinander haben und er ihr auf dem Markt den Hof macht!«
    »Die rote Walja? Wer ist das?«
    »Sie hat einen Stand in der Fischreihe. Ein feuriges Weib! Sie nimmt es mit jedem Mann auf!«
    »Was

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