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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
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tasten. Das Geschenk der Jugend war ihm genommen. Innerhalb weniger Tage war Weaver der Farbe, war er vierzig Jahre seines Lebens beraubt worden.
    Er war ein alter Mann, der im Sterben lag. Sein Gesicht war gelblich über bläulichem Grau, der Farbe des Todes. Es war knochig, und die runzlige Haut ließ den Totenschädel erkennen. Er mochte einmal gutaussehend gewesen sein. Jetzt waren seine Augen tief eingesunken, die geschlossenen, verfärbten Lider verbargen sie, und seine Nase war ein schmaler, gebogener Span.
    Diesmal, dachte Dr. Pearce, diesmal gibt es keine Gnadenfrist.
    »Ich verstehe das nicht«, murmelte Dr. Easter. »Ich dachte, er hat vierzig Jahre –«
    »Das war seine Schlußfolgerung«, sagte Dr. Pearce. »Vierzig Tage dürfte eher stimmen. Dreißig bis vierzig Tage – so lange bleibt das Gammaglobulin im Kreislauf. Die Immunität war nur passiv. Die einzige Person mit dauernder Immunität gegen den Tod ist Cartwright. Und die einzigen, denen er sie weitergeben kann, sind seine Kinder.«
    Easter blickte sich nach der Krankenschwester um und flüsterte: »Könnten wir das nicht klüger machen? Der Zufall braucht manchmal eine hilfreiche Hand. Mit künstlicher Befruchtung könnte man die Menschheit in ein paar Generationen verändern –«
    »Wenn wir nicht vorher alle ausgelöscht werden«, sagte Dr. Pearce und wandte sich ab.
    Er wartete mit geschlossenen Augen, lauschte den mühsamen Atemzügen Weavers, dachte an die Tragödie des Lebens und des Todes – an das Geborenwerden und Sterben, ineinander verflochten, alles eins, und hier war Weaver, dessen Leben vorbei war, und da war sein Kind, das erst nach Monaten auf die Welt kommen würde. Eine Fortsetzung, ein Gleichgewicht – ein Leben für das Leben, und es hatte die Menschheit seit Millionen Jahren stabil erhalten.
    Und doch – Unsterblichkeit? Was mochte sie bedeuten.
    Er dachte an Cartwright, den Unsterblichen, den Verfolgten. Solange sich die Menschen zu erinnern vermochten, würden sie ihn nicht ruhen lassen, und wenn er es müde wurde, sich zu verstecken, zu fliehen, war sein Schicksal besiegelt. Die Suche würde weitergehen – behindert jetzt, zum Glück seit Weaver aus dem Rennen war –, und Cartwright würde mit seiner Last nie leben können wie andere Menschen.
    Er dachte an ihn, versuchte sich angesichts des Todes mit der Unsterblichkeit zu befassen, und er dachte, daß Unsterblichkeit – das größte Geschenk, das einem Menschen zuteil werden konnte – eine entsprechende Gegenleistung verlangte, wie alles andere auch. Für die Unsterblichkeit mußte man das Recht zu leben aufgeben.
    Gott sei dir gnädig, Cartwright.
    »Transfusion, Dr. Pearce?« wiederholte die Krankenschwester.
    »O ja«, sagte er hastig. »Auf jeden Fall.« Er starrte noch einmal auf Weaver hinunter. »Schicken Sie eine Bestellung hinunter. Wir kennen ja seine Blutgruppe. 0 negativ.«
     

 
ZWEITER TEIL
 
Der Spender
     
1.
     
    Die Suche war auf hundert Jahre hinaus geplant worden. Die Hälfte dieser Zeit war bereits vergangen, und ein Erfolg zeichnete sich ebensowenig ab wie zu Anfang. Nur die letzte Verzweiflung kann ohne regelmäßige Transfusion mit Resultaten die Hoffnung am Leben erhalten.
    Das nationale Forschungsinstitut war in seiner Art einmalig. Es hatte keine Kunden, es stellte nichts her. Die Jahresabrechnung wies nur Verlustzahlen auf. Aber die schmallippigen Spender leisteten ohne Murren regelmäßig ihre Beiträge. Sobald einer von ihnen starb, fiel sein Vermögen dem Institut anheim.
    Der Zweck des Instituts war Lernen, aber nicht Erziehung. Es hatte einen ungeheuren Appetit für Informationen aller Art, vor allem schriftlicher Natur: Statistiken, Zeitungsausschnitte, Krankenakten, Berichte … Ein Strom von Papier floß durch das graue, bombensichere Steingebäude in der Nähe von Washington, wurde zu bedeutungsvollen gestanzten Löchern oder Anordnungen von Elektronen reduziert, aus denen Datenrechner komplizierte Vergleiche oder Schlußfolgerungen verschiedenster Art zogen.
    Möglicherweise kannte ein einziger Mann im Institut seine Funktion. Die Tausende anderer Angestellten, von denen viele nicht einmal auf der Gehaltsliste standen, erfüllten ihre Pflichten blindlings, steckten ihre großzügige Entlohnung ein und stellten keine Fragen, wenn sie Wert darauf legten, ihre Stellung zu behalten.
    Das Institut lebte durch die Hoffnung und blühte durch den Tod.
    Der große Prüfsaal barg geschäftiges Durcheinander, das nur durch Zufall

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