Der Gamma-Stoff
in den Sessel neben dem Schreibtisch sinken und zündete sich eine Zigarette an. »Ich habe fünf Jahre lang im dunkeln gearbeitet. Bevor ich etwas verrate, möchte ich wissen, was eigentlich gespielt wird.«
»Sie werden gut bezahlt«, sagte Locke kalt. »Wenn die Sache klappt, brauchen Sie sich über Geld nie mehr Gedanken zu machen. Aber versuchen Sie nicht, ins Spiel einzusteigen, Sibert. Es ist zu groß für Sie.«
»Daran muß ich ja die ganze Zeit denken«, meinte Sibert nachdenklich. »Ein paar hunderttausend Dollar. Bedeutet diese Summe für eine Organisation, die im Jahr mindestens hundert Millionen ausgibt, überhaupt etwas? Mit fünfzig Jahren multipliziert, ergibt das fünf Milliarden Dollar. Nur, um die Kinder eines bestimmten Mannes zu finden.«
»Wir zapfen Ihnen die Informationen schon ab.«
»Nicht rechtzeitig. Und Zeit ist genau das, was ihr nicht habt. Ich habe einen Brief hinterlassen. Wenn ich nicht bald zurückkomme, wird er zugestellt, und Cartwrights Sprößling wird erfahren, daß man ihm auf der Spur ist …«
»Ich möchte diese Feststellung mit Skopolamin nachprüfen.«
»Nein. Nicht, weil sie nicht wahr wäre. Sie könnten auch noch andere Fragen stellen. Und es würde zu lange dauern. Deswegen konnte ich ja nicht auf einen Termin warten. Versuchen Sie doch, mein Wissen aus mir herauszuquetschen, wenn Sie wollen.« Er nahm die rechte Hand aus der Jackettasche, zeigte eine zehnschüssige Pistole vor. »Aber es kann zu lange dauern. Und Sie verlieren vielleicht alles in dem Augenblick, da es in Reichweite kommt. Sie könnten sterben, oder ich könnte sterben.«
Locke seufzte und lehnte sich zurück. »Was wollen Sie wissen?«
»Was ist so bedeutsam an Cartwrights Kindern?«
»Wenn ihnen kein Unfall zustößt, werden sie ewig leben.«
Der ältere Mann ging langsam durch den Bahnhof, mit nachdenklichem Gesicht, die Hände tief in den Taschen vergraben. Er holte eine Reisetasche aus einem Schließfach und trug sie in den nächstgelegenen Waschraum, wo er eine Zelle betrat. Er verließ den Waschraum nicht. Ein bestellter Platz im Talgo-Expreß nach Toronto wurde nicht eingenommen.
Ein junger Mann mit Schlapphut und Spitzbart stieg vor dem Bahnhof in ein Taxi, verließ es bei einer Verkehrsstockung im Geschäftszentrum, hastete zwischen den bewegungslosen Autos dahin, bis er die Parallelstraße erreichte, wo er ein zweites Taxi nahm, das in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Am Flughafen kaufte er eine nichtabgeholte Flugkarte für die nächste Maschine. In Detroit stieg er in eine Düsenmaschine nach St. Louis um. Dort wechselte er in ein langsames Turboprop-Flugzeug nach Wichita über. Er mietete ein altes zweisitziges Sportflugzeug, gab seinen Flugplan bekannt und kümmerte sich nicht mehr darum. Zwei Stunden später landete er auf dem Flughafen von Kansas City und stieg in einen klapprigen Omnibus, der über die zerfallende New Hannibal Bridge in das Einkaufsviertel fuhr.
Der Stadtteil ging zugrunde. Mit der Mittelklasse waren die Geschäfte in die Vororte hinausgezogen. Seit einem Jahrzehnt waren Gebäude und Läden nicht mehr repariert worden. Auf der Straße hielten sich nur wenige Leute auf, aber der junge Mann mit dem Bart tat, was er konnte, tauchte in Arkaden unter, wartete in Hausdurchgängen und zwängte sich schließlich in einen Kaufhauslift, kurz bevor sich die Türen schlossen. Der Aufzug stieg knarrend nach oben. Als er den vierten Stock erreichte, waren nur der junge Mann und der Liftführer, ein gebückter, runzliger Gnom über Achtzig, übriggeblieben. Der junge Mann ging den Korridor entlang und verschwand in der Herrentoilette.
Zwei Minuten später spülte er eine häßliche schwarze Haarmasse hinunter, vergrub einen Hut unter einem Wust von Papierhandtüchern und grinste sein Spiegelbild an.
»Guten Tag, Mr. Sibert«, sagte er fröhlich. »Was hat Locke zu Ihnen gesagt?«
»›Sie waren doch Schauspieler, nicht wahr, Sibert?‹«
»›Früher mal. Kein sehr guter, fürchte ich.‹«
»›Warum haben Sie aufgehört?‹«
»›Es war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.‹«
»›Und was wäre das?‹«
»›Wenn Ihre Psychologen nicht dahintergekommen sind, werde ich es Ihnen nicht sagen. Das würde Ihnen Ihre Aufgabe zu sehr erleichtern.‹«
»›Ihr Fehler, Sibert. Ein lebendiger Schauspieler – selbst ein schlechter – ist besser als ein toter Abenteurer. Und das werden Sie sein, wenn Sie sich unterstehen, etwas auf eigene Faust zu
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