Der Gamma-Stoff
sollte er vor dem Politischen Aktionskomitee erscheinen? Wenige Assistenten und fast kaum Ärzte erhielten Anweisung, vor dem Komitee zu erscheinen. Man brauchte niemanden darum zu beneiden. Häufig hatte der Betreffende anschließend seine persönliche Habe zusammenzusuchen und nicht nur das Krankenhaus zu verlassen, sondern auch den Arztberuf aufzugeben.
Als der Konvoi vor dem Justizgebäude hielt und sich – geschützt durch die Betonbunker auf dem Rasen und die Flakbatterien auf dem Dach – aufstellte, quälte sich Flowers immer noch mit den Möglichkeiten herum.
Wie üblich war die Versammlung langweilig. Da die Besorgnis verebbte, schlief Flowers in seinem Stuhl ein, schreckte ab und zu hoch, um Bruchstücke des Protokolls der letzten Versammlung, den Bericht des Schatzmeisters, die Verlesung von Forschungsunterlagen zu hören.
Der Vertreter des Ärztebundes hielt eine bewegende Ansprache über die Gefahr der dem Kongreß vorgelegten neuen Gesetze. Das unvermeidliche Ergebnis sei sozialisierte Medizin.
Merkwürdig, dachte Flowers, daß diese Hydra nicht zu vernichten war. Für den Kopf, den man abhieb, wuchsen zwei neue nach. Die Ärzte sollten endlich ein für allemal damit aufräumen.
Einstimmig wurde ein Betrag von 325 000 Dollar der Lobby in Washington überwiesen.
Als der Vorsitzende des Politischen Aktionskomitees aufstand, betrachtete ihn Flowers neugierig. Er war ein großer, dicker Mann mit buschigem schwarzen Haar, dichten Brauen und geröteter Haut. Flowers kannte ihn nicht. Das war nicht ungewöhnlich, wenn man berücksichtigte, daß es in den vier Landkreisen der Umgebung zehntausend Ärzte gab.
Nach Ansicht des Komitees war die politische Lage im Rahmen des Staates und der Landkreise unter Kontrolle. Die Antivivisektionspartei hatte im Laufe der letzten Monate Verbindung mit einer Anzahl quasi-religiöser Gruppen aufgenommen, aber man rechnete nicht mit aus dem Rahmen fallenden Ergebnissen. Jeder Anwesende hatte eine Fotokopie der Liste aller politischen Bewerber in Staat und Landkreis erhalten. Sie besaßen die Unterstützung des Politischen Aktionskomitees.
Man akzeptierte die Liste ohne Gegenstimmen. Für Wahlkampfausgaben wurde ein Betrag von 553 000 Dollar zur Verfügung gestellt.
Und so weiter.
Als die Generalversammlung geschlossen worden war, wanderte Flowers langsam zur Tür des Zimmers, in dem die Versammlung des Komitees stattfinden sollte.
»Flowers?«
Der Vorsitzende des Komitees war zu ihm getreten. Flowers folgte ihm wie betäubt in das große Zimmer. Dort befanden sich fünf Personen; der Vorsitzende nahm seinen Platz in der Mitte ein. Sie setzten sich mit ernsten Gesichtern hinter einen langen, schweren Tisch aus echtem Holz, das durch jahrhundertelangen Gebrauch nachgedunkelt war.
»Sie sind in Schwierigkeiten«, begann der Vorsitzende.
Der Arzt zur Rechten des Vorsitzenden beugte sich vor, ein kleines Notizlesegerät in der Hand.
»Gestern nacht, als Sie sich wegen eines dringenden Besuchs in der Stadt befanden, haben Sie der Polizei einen angeblichen Händler namens Crumm übergeben. Crumm wurde um 9 Uhr freigelassen. Er hatte eine Lizenz, und das Penicillin in der Ampulle wurde mit vollen 300 000 Einheiten getestet.«
»Ein typischer Bone-Trick! Er hat eine Lizenz ausgestellt und sie rückdatiert. Das mit dem Penicillin ist eine Lüge. Zu diesem Preis könnte man es nicht verkaufen. Es lag unter dem Großhandelspreis.«
»Wenn Sie heute abend zugehört hätten, wäre Ihnen klargeworden, daß Penicillin wertlos ist. Als es eingeführt wurde, gab es höchstens 5 Prozent immune Bakterienkulturen. Heutzutage sind es fünfundneunzig Prozent, und sie nehmen immer noch zu.«
Flowers dachte an die Gelder, die für Forschung und Produktion von Antibiotika zur Verfügung gestellt wurden, wodurch sich immer mehr virulente Bakterienkulturen entwickelten, für die neue und bessere Antibiotika gefunden werden mußten.
»Wie sollen wir der Sache ein Ende machen«, fragte Flowers, »wenn wir sie nicht bestrafen, sobald wir Gelegenheit dazu haben?«
Der Arzt lächelte.
»Dafür ist das Politische Aktionskomitee da. Wir haben uns geweigert, John Bones Kontrakt zu erneuern. Das wird ihn zur Vernunft bringen.« Sein Gesicht verhärtete sich. »Jedenfalls dachten wir das bis heute.«
»Wie meinen Sie das?« Flowers bekam es mit der Angst zu tun.
»Bis Bone Sie heute abend freigelassen hat.«
Flowers starrte die fünf unbeweglichen Gesichter entsetzt an. »Er hat mich
Weitere Kostenlose Bücher