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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
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bakterientötenden ultravioletten Strahlen durchflutet. Er zündete den Kandelaber von Bunsenbrennern an und schaltete die Ventilatoren unter dem Wandgemälde ein, auf dem die Unsterblichkeit den Tod mit einer Injektionsspritze besiegte. Die Luft, direkt vom Medizinischen Zentrum hierhergepumpt, war rein, seuchenfrei und aromatisch mit dem Krankenhausgeruch nach Alkohol und Äther.
    Wissenschaft, Chirurgie und Erlösung – die Klinik hatte jedem etwas zu bieten.
    Ein ganz normaler Tag, dachte Harry. Bald würde die schrille Kakophonie des Sechs-Uhr-Betriebsschlusses ertönen, und die Fabriken würden ihre menschliche Flut in die ausgehöhlten Kanäle zwischen den hohen Mauern ergießen. Dann würde er ein bis zwei Stunden zu tun haben.
    Aber die Schicht war angenehm. Er war nur zwischen sechs Uhr und Schichtende beschäftigt. Dazwischen konnte er einen Blick in das Geriatriejournal werfen oder ein paar Spulen Text über die Innenfläche seiner Brille laufen lassen. Er brauchte sie nicht zum Sehen – in diesem Fall hätte er Haftschalen verwendet –, aber sie waren für Lektürezwecke gut geeignet und ließen den Träger älter und bedeutsamer erscheinen.
    Für Harry mit seinen achtzehn Jahren war das wichtig.
    Der Sonntag war unangenehm, aber nicht nur für ihn – für alle Leute.
    Er freute sich schon darauf, das bald hinter sich zu haben. Eine Woche noch, dann durfte er wieder im Inneren Dienst tun. Sechs weitere Monate, und er hatte die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Sobald er sein Examen bestanden hatte – es war undenkbar, daß ihm das nicht gelingen würde – gab es keine Kliniken mehr für ihn.
    Es war schön und gut, sich mit den Massen abzugeben – davon handelte ja auch zum Teil der Eid des Hippokrates – aber als Arzt mußte man praktisch denken. Die Behandlungsmöglichkeiten reichten eben nicht für alles aus. Hier eine Ohrinfektion, dort eine Hautkrankheit zu heilen war dasselbe, als schütte man Antibiotika in den Fluß. Die Ergebnisse blieben unbemerkt.
    Bei denjenigen, die Gelegenheit hatten, sich Unsterblichkeit zu erwerben, war es etwas anderes. Ein Leben zu retten, bedeutete doch etwas. Es mochte sogar dazu führen, daß ihm eine Gnadenfrist gewährt wurde, sobald er sie brauchte. Und Gnadenfristen waren schon bis zur Unsterblichkeit verlängert worden. Die Prognose lautete jedoch nicht ungünstig. Man konnte bestenfalls hoffen, daß man etwas aus sich machen würde, was zu bewahren sich lohnte. Dann würde ihm eine dankbare Wählerschaft die Unsterblichkeit zuerkennen. Deshalb hatte Harry sich entschlossen, als Fachgebiet die Geriatrie zu wählen. Später, sobald ihm mehr Zeit und Laborgeräte zur Verfügung standen, würde er sich auf die Synthese des Elixiers vitae konzentrieren. Ein Erfolg würde nicht nur für ihn, sondern für alle Menschen Unsterblichkeit bedeuten. Selbst wenn es ihm im Lauf einer Lebensspanne nicht gelang, durfte er mit Gnadenfristen rechnen, sollte sich seine Forschungsarbeit als vielversprechend herausstellen.
    Aber von überragender Bedeutung war die Synthese selbst. Die Welt konnte sich nicht auf die Dauer auf die Cartwrights verlassen. Sie waren zu egoistisch. Sie zogen es vor, ihre eigene zufällige Unsterblichkeit zu verbergen, statt harmlose Mengen Blut in regelmäßigen Abständen zur Verfügung zu stellen. Wenn Fordyces statistische Analyse von Lockes Nachforschungen zutrafen, waren genügend Cartwrights am Leben, um fünfzigtausend Sterblichen Unsterblichkeit zu garantieren – und diese Zahl würde mit der Geburt neuer Cartwrights in geometrischer Proportion zunehmen. Eines Tages würde ein Säugling als sein Geburtsrecht Leben erben, nicht den Tod. Wenn die Cartwrights nur nicht so egoistisch wären … Nach dem derzeitigen Stand hatte man aber nur so viele von ihnen entdeckt, daß man für einhundert bis zweihundert Personen Unsterblichkeit zu erreichen vermochte. Niemand kannte die genaue Zahl. Und die zahmen Cartwrights waren so unfruchtbar, daß sie sich nur langsam vermehrten. Sie vermochten nur eine begrenzte Menge des kostbaren Blutes zu spenden. Daraus ließ sich nur wenig Gammaglobulin gewinnen, das den Immunitätsfaktor weitervermittelte. Selbst bei streng bemessenen Minimaldosen konnten die Injektionen nur einer kleinen Gruppe bedeutsamer Personen zugute kommen, weil die Immunität dem Tod gegenüber passiv war. Ihre Wirkung hielt nicht länger als dreißig Tage an.
    Sobald aber das Blutprotein synthetisch gewonnen werden konnte

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