Der Gandolfo-Anschlag - Ludlum, R: Gandolfo-Anschlag
sahen es gleichzeitig, als sie den Korridor herunterkamen und sich seiner Suite näherten. Das war das Zeichen, daß den Gast an der Rezeption eine Nachricht erwartete. Devereaux fluchte halblaut.
Verdammt! Genf war also doch nicht so schnell ausgelöscht worden. Oder so vollkommen. Hawkins könnte ihn doch wenigstens einmal ordentlich schlafen lassen!
»Heute nachmittag hat auch eines dieser Lichter für mich gebrannt«, sagte Anne. »Ich kam gerade zurück, um die
Schuhe zu wechseln. Das bedeutet, daß du einen Telefonanruf bekommen hast.«
»Oder eine Nachricht.«
»Bei mir war es ein Anruf. Von Don in Santa Monica. Ich habe ihn schließlich erreicht. Weißt du, es war erst acht Uhr früh in Kalifornien.«
»Nett von ihm, daß er zum Telefonieren aufgestanden ist.«
»So ist es nicht. Meinem Mann gehören zwei Dinge in Santa Monica — ein Restaurant und ein Mädchen. Das Restaurant ist um acht Uhr früh nicht geöffnet — sei mir nicht böse, wenn das ordinär klingt. Ich glaube, Don wollte sich nur überzeugen, daß ich wirklich siebentausend Meilen entfernt war.« Anne lächelte ihm naiv zu. Er wußte nicht recht, wie er reagieren sollte, wenn man alles in Betracht zog.
»Eine mühsame Methode, um – nun, um nachzuprüfen ...« Sam knipste das Licht in seinem Vorraum an. Dahinter waren die Wohnzimmerlampen eingeschaltet, so wie er sie vor fünf Stunden verlassen hatte.
»Mein Mann leidet an einer Geisteskrankheit, die für Männer mit billigen Affären typisch ist. Du bist als Anwalt sicher damit vertraut. Er hat einen regelrechten Verfolgungswahn, daß man ihn erwischen könnte. Versteh mich richtig — es geht ihm nicht um die Moral. Wenn er voll ist, gibt er sogar damit an. Aber er hat eine Höllenangst, irgendein Gericht könnte ihm einmal Unsummen abknöpfen, falls ich aussteigen möchte.«
Sie gingen in sein Wohnzimmer. Er wollte etwas sagen — aber wenn er auch diesmal alles in Betracht zog, so wußte er nicht recht, was. Er entschied sich für eine ungefährliche Banalität. »Ich glaube, der Mann ist nicht bei Trost.«
»Du bist süß, aber das hättest du nicht sagen müssen. Andererseits ist das wahrscheinlich das einzige, was du sagen konntest ...«
»Suchen wir uns ein anderes Thema«, unterbrach er sie schnell und wies auf die Couch und den niedrigen Tisch
davor, mit den Zeitungen, die das Savoy geliefert hatte. »Setz dich, ich bin gleich wieder da. Ich hab’s nicht vergessen. Du knöpfst mir das Hemd zu und bindest mir den Schlips.« Sam ging zur Schlafzimmertür.
»Wirst du nicht unten anrufen?«
»Das hat Zeit«, antwortete er aus dem Schlafzimmer. »Ich habe nicht die Absicht, mich von irgend jemandem bei einem ruhigen Dinner stören zu lassen. Außerdem möchte ich dir noch ein oder zwei Pubs zeigen, falls die dann noch offen sind.«
»Du solltest wirklich rauskriegen, wer dich erreichen will. Es könnte wichtig sein.«
» Du bist wichtig! « schrie Sam und nahm einen beigefarbenen Jerseyanzug aus seinem Koffer.
»Es könnte sehr wichtig sein«, meinte das Mädchen im Wohnzimmer.
»Du bist sehr wichtig« , erwiderte er und wählte ein rotgestreiftes Hemd aus der nächsten Schicht von Kleidungsstücken.
»Ich bringe es nie fertig, ein Telefon nicht abzunehmen oder mich zu erkundigen, ob jemand angerufen hat, oder zurückzurufen — selbst wenn ich den Namen noch nie gehört habe.«
»Du bist kein Anwalt. Hast du je versucht, einen Anwalt am Tag, nachdem du ihn beauftragt hast, zu erreichen? Seine Sekretärin ist darauf gedrillt, mit vollendeter Überzeugung zu lügen.«
»Warum?« Anne stand jetzt in der Schlafzimmertür.
»Nun, schließlich hat er dein Geld und ist hinter dem nächsten Vorschuß her. Dein Fall führt vermutlich zu einem Briefwechsel mit dem Anwalt der Gegenseite, auch ohne zusätzliche Erklärungen. Er will keine Komplikationen.«
Anne ging zu ihm, während er in das rotgestreifte Hemd schlüpfte. Sie begann es nonchalant zuzuknöpfen. »Du bist ein ganz kühler Kunde. Da bist du hier in einem fremden Land ... «
»So fremd ist es mir gar nicht«, unterbrach er sie lächelnd.
»Ich war schon mal hier. Ich bin dein Fremdenführer, das darfst du nicht vergessen.«
»Aber du bist gerade von Genf gekommen, wo es dir offensichtlich nicht besonders gut ergangen ist ...«
»Nicht so schlecht. Ich hab’s überlebt.«
»Und jetzt versucht jemand verzweifelt, dich zu finden.«
»Was heißt verzweifelt? Ich kenne niemanden, der so verzweifelt
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