Der Gang vor die Hunde (German Edition)
»Dort drüben, an dem Platz, ist ein Café, in dem Chinesen mit Berliner Huren zusammensitzen, nur Chinesen. Da vorn ist ein Lokal, wo parfümierte homosexuelle Burschen mit eleganten Schauspielern und smarten Engländern tanzen und ihre Fertigkeiten und den Preis bekanntgeben, und zum Schluß bezahlt das Ganze eine blondgefärbte Greisin, die dafür mitkommen darf. Rechts an der Ecke ist ein Hotel, in dem nur Japaner wohnen, daneben liegt ein Restaurant, wo russische und ungarische Juden einander anpumpen oder sonstwie übers Ohr hauen. In einer der Nebenstraßen gibt es eine Pension, wo sich nachmittags minderjährige Gymnasiastinnen verkaufen, um ihr Taschengeld zu erhöhen.« (zehntes Kapitel)
Wird also in den bekannten Fassungen des
Fabian
in sexualibus durchaus schon einiges geboten, vom Lesbencafé bis zum Männerbordell Irene Molls, so enthält
Der Gang vor die Hunde
noch eine Reihe von zusätzlichen Passagen und Sätzen zu diesem Thema. Dr. Felix Moll, der Gatte von Irene Moll, die Fabian im Verlauf seiner letzten Tage immer wieder über den Weg läuft, erläutert den Ehebruch-Vertrag, den er mit seiner Frau geschlossen hat, mit dem Satz: »Mir wuchs der Unterleib meiner Frau sozusagen über den Kopf« (zweites Kapitel) – ein gestrichener Satz. Das gestrichene Kapitel um die Blinddarm-Operationswunde des Direktors Breitkopf inszeniert deutlich den Ekel vor einer Machthaber-Figur der Zeit, es endet aber auch mit einem Verweis auf den Zusammenhang von Sexualität und Macht; Fabian wirft dem Direktor im Streit an den Kopf, dass dieser »die Tippfräuleins über den Schreibtisch« lege (drittes Kapitel). Er spricht zwar von »Geschmacklosigkeit«, das ist aber noch ein Understatement – er wirft seinem Chef damit Machtmissbrauch vor, »Unzucht mit Abhängigen« hieß der entsprechende § 174 im Strafgesetzbuch. Es gehört wenig spekulatives Talent dazu, in Fabians Satz seinen wahren Kündigungsgrund zu erahnen.
Immer wieder ist
Der Gang vor die Hunde
expliziter als die bisher bekannte Fassung des Romans; als Fabian, von Cornelia enttäuscht, mit einer Frau vom Rummelplatz mitgeht, die sich später als Vertretergattin entpuppt, untersucht sie, »im Schein der Taschenlampe, seinen Sexualapparat wie ein alter Kassenarzt« (sechzehntes Kapitel) – in der DVA -Version untersucht sie lediglich »ihn im Schein der Taschenlampe« (vgl. Liste der Varianten und Streichungen). Labude beobachtet, wie sie auf dem Balkon ihren Schlafrock für den Liebhaber »für einen Moment weit auseinander« breitet (achtes Kapitel), während sie ihn im Erstdruck lediglich auseinanderbreitet (vgl. Liste der Varianten und Streichungen). Auch die Bordellszene am Ende des Romans ist ungleich expliziter, die Prostituierten führen hier ein Stück auf, es reicht bis zum umgebundenen »Gummiglied« (dreiundzwanzigstes Kapitel). Der prügelnde Stahlhelm-Mann wird noch deutlicher präsentiert, und beim Abschied aus dem Viertel vermerkt Fabian: »Ein paar Strichfrauen standen lustlos an den Ecken und rauchten Zigaretten« (dreiundzwanzigstes Kapitel) – noch ein gestrichener Satz.
Kästners Frauenbild dürfte in
Fabian
am differenziertesten sein; es ist ihm zwar vorgeworfen worden, dass er wieder die alte »Dichotomie imaginierter Weiblichkeit« vertrete und die Frauenfiguren »in sexualisierte Huren und entsexualisierte Mütter aufgeteilt« seien, [70] aber das ist nicht die ganze Wahrheit, denn so typisch ist die Geschlechterkonstellation des
Fabian
nun auch wieder nicht für Neue Sachlichkeit und frühe Moderne. [71] Die sexuellen Sodom-und-Gomorrha-Szenen werden nicht nur verurteilt, und anders als Direktor Breitkopf werden die Frauenfiguren differenziert dargestellt. Fabian sucht sich als Geliebte eine moderne Frau; Cornelia Battenberg gibt sich zwar so illusionslos wie ihr Liebhaber, dennoch unternimmt sie wenigstens etwas, um ihrer Misere zu entrinnen. Auch an Fabians Beziehung mit der Vertretergattin zeigt sich, dass die moderne Frau die seine sein soll, nicht die Schnittchen schmierende und unentwegt kochende Hausfrau, die nebenbei ihren Mann betrügt. Und Irene Moll, so unsympathisch sie Fabian ist, sagt ihm in seinem Traum, der »makabren Untergangsvision«, [72] die Wahrheit über sein Verhältnis zur Welt: »(D)u hast Angst, (…) das Glas zwischen dir und den Anderen könnte zerbrechen. Du hältst die Welt für eine Schaufensterauslage.« (vierzehntes Kapitel) Als er Moll zum letzten Mal sieht, betrachtet sie ihn denn
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