Der Gang vor die Hunde (German Edition)
abstürzten. Man hörte den Aufschlag der hohlen Schädel. Flugzeuge schwirrten unter der Saaldecke und warfen Brandfackeln auf die Häuser. Die Dächer begannen zu brennen. Grüner Qualm quoll aus den Fenstern.
»Warum machen das die Leute?« Das kleine Mädchen aus dem Kaufhaus faßte Fabians Hand.
»Sie wollen neue Häuser bauen«, erwiderte er. Dann nahm er das Kind auf den Arm und stieg, über die Toten kletternd, die Stufen hinunter. Auf halbem Weg begegnete er einem kleinen Mann. Der stand da, schrieb Zahlen auf einen Block und rechnete mit den Lippen. »Was machen Sie da?« fragte Fabian.
»Ich kaufe die Restbestände«, war die Antwort. »Pro Leiche dreißig Pfennige, für wenig getragene Charaktere fünf Pfennige extra. Sind Sie verhandlungsberechtigt?«
»Gehen Sie zum Teufel«, schrie Fabian.
»Später«, sagte der kleine Mann und rechnete weiter. Am Fuß der Treppe setzte Fabian das kleine Mädchen hin. »Nun geh nach Hause«, meinte er. Das Kind lief davon. Es hüpfte auf einem Bein und sang.
Er stieg wieder die Stufen empor. »Ich verdiene keinen Pfennig«, murmelte der kleine Mann, an dem er wieder vorbeikam. Fabian beeilte sich. Oben brachen die Häuser zusammen. Stichflammen stiegen aus den Steinhaufen. Glühende Balken neigten sich und sanken um, als tauchten sie in Watte. Noch immer ertönten vereinzelte Schüsse. Menschen mit Gasmasken krochen durch die Trümmer. So oft sich zwei begegneten, hoben sie Gewehre, zielten und schossen. Fabian sah sich um. Wo war Labude? »Labude!« schrie er. »Labude!«
»Fabian!« rief eine Stimme. »Fabian!«
»Fabian!« rief Cornelia und rüttelte ihn. Er erwachte. »Warum rufst du Labude?« Sie strich ihm über die Stirn.
»Ich habe geträumt«, sagte er. »Labude ist in Frankfurt.«
»Soll ich Licht machen?« fragte sie.
»Nein, schlaf rasch wieder ein, Cornelia, du mußt morgen hübsch aussehen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, sagte sie.
Und dann lagen beide noch lange wach. Jeder wußte es vom anderen, aber sie schwiegen.
Fünfzehntes Kapitel Ein junger Mann, wie er sein soll – Vom Sinn der Bahnhöfe – Cornelia schreibt einen Brief
Am nächsten Morgen saß er, als Cornelia ins Büro ging, am offenen Fenster. Sie hatte eine Mappe unterm Arm und schritt eifrig aus. Sie hatte Arbeit, sie verdiente Geld. Er saß am Fenster und ließ sich von der Sonne kitzeln. Sie schien warm, als sei die Welt in bester Ordnung, nichts brachte sie aus der Fassung.
Cornelia war schon weit. Er durfte sie nicht zurückrufen. Wenn er es getan und wenn er, aus dem Fenster gebeugt, gesagt hätte: Komm wieder herauf, ich will nicht, daß du arbeitest, ich will nicht, daß du zu Makart gehst! hätte sie geantwortet: Was fällt dir ein? Gib mir Geld oder halte mich nicht auf. Er konnte sich nicht anders helfen, er streckte der Sonne die Zunge heraus.
»Was machen Sie denn da?« fragte Frau Hohlfeld. Sie war unbemerkt eingetreten.
Fabian sagte abweisend: »Ich fange Fliegen. Sie sind heuer groß und knusprig.«
»Gehen Sie nicht ins Geschäft?«
»Ich bin in den Ruhestand getreten. Vom nächsten Ersten ab erscheine ich im Defizit des Finanzministeriums, als unvorhergesehene Mehrausgabe.« Er schloß das Fenster und setzte sich aufs Sofa.
»Stellungslos?« fragte sie.
Er nickte und holte Geld aus der Tasche. »Hier sind die achtzig Mark für den nächsten Monat.«
Sie nahm rasch das Geld und meinte: »Das war nicht so eilig, Herr Fabian.«
»Doch.« Er legte die letzten Scheine und Münzen übersichtlich auf den Tisch und zählte, was ihm blieb. »Wenn ich mein Kapital auf die Bank bringe, krieg ich drei Mark Zinsen im Jahr«, sagte er. »Das lohnt sich kaum.«
Die Wirtin wurde gesprächig. »In der Zeitung schlug gestern ein Ingenieur vor, man solle den Spiegel des Mittelmeeres um zweihundert Meter senken, dann kämen große Ländereien ans Licht, wie vor der Eiszeit, und man könne sie besiedeln und Millionen von Menschen darauf ernähren. Außerdem sei, mit Hilfe kurzer Dämme, eine durchgehende Eisenbahnverbindung von Berlin bis Kapstadt möglich!« Frau Hohlfeld war noch jetzt von dem Vorschlag des Ingenieurs eingenommen und sprach voll Feuer.
Fabian pochte auf die Armlehne des Sofas, daß der Staub tanzte. »Na also!« rief er. »Auf ans Mittelmeer! Laßt uns seinen Spiegel senken. Kommen Sie mit, Frau Hohlfeld?«
»Gern. Ich war seit meiner Hochzeitsreise nicht mehr dort. Eine herrliche Gegend. Genua, Nizza, Marseille, Paris. Paris liegt übrigens
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