Der Gang vor die Hunde (German Edition)
tagespolitischem Gehalt. Eine Sammlung dieser Gedichte erschien 2012 unter dem Titel
Die Montagsgedichte
im Atrium Verlag. Bis 1933 veröffentlichte Kästner Tausende von publizistischen Arbeiten, die nur zum kleinsten Teil in den vorliegenden Werkausgaben nachgedruckt worden sind – Theater- und Buchkritiken, Feuilletons, Kommentare zu Fotografien und wiederum zur Tagespolitik. [37]
Kästner war 1899 in Dresden geboren worden; den Weltkrieg und die Militärzeit ( 1917 – 19 ) hatte er mit einer Herzneurose überstanden, das Lehrer-Seminar brach er ab, studierte anschließend Germanistik in Rostock, Berlin und vor allem in Leipzig. Dort promovierte er 1925 über die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift »De la littérature allemande«; eine zuvor geplante Arbeit über Lessings
Hamburgische Dramaturgie
hatte er abgebrochen, er wusste also genau, was es mit Labudes Lessing-Habilitationsarbeit auf sich hatte. Nach einer mehrjährigen gescheiterten Liebesbeziehung zu der Chemikerin Ilse Julius und einem Provinzskandal bei der
Neuen Leipziger Zeitung
um ein erotisches Gedicht, das zur Entlassung des Journalisten Erich Kästner (und seines Illustrators Erich Ohser) führte, ging er 1927 nach Berlin.
Dieser junge Mann war ehrgeizig, er kannte seine ästhetischen Mittel, und er war entschlossen, als freier Schriftsteller und Journalist berühmt zu werden; in der Großstadt, die er belebend und anregend fand wie keinen zweiten Ort im Deutschland der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre. Der junge Kästner verbringt hier seine produktivsten, frechsten, genialischsten Schriftstellerjahre, bis diese Karriere durch die NS -Diktatur 1933 abgeschnitten wird. Unmittelbar nach dem Regimewechsel ist er ein verbotener, ›verbrannter‹ Autor. Er kann das mit dem
Fabian
und den frühen Gedichten erreichte Niveau nicht mehr einholen; als innerer Emigrant im ›Dritten Reich‹, der weiterhin von seinem Beruf leben will und muss, sieht er sich genötigt, dezidiert unpolitische Arbeiten zu schreiben. So entstehen Unterhaltungsromane, Kinderbücher und Boulevardkomödien unter gemeinsamen Pseudonymen mit Freunden, die der Reichsschrifttumskammer beitreten konnten. Zwar konnten seine Kinderbücher und Unterhaltungsromane dank der Gründung des Atrium Verlages in Zürich durch den jüdischen Verleger Kurt Maschler noch bis 1938 aus der Schweiz importiert und in Deutschland verkauft werden; auch konnte Kästner mit einer Sondergenehmigung 1941 / 42 sogar unter dem Pseudonym ›Berthold Bürger‹ Drehbücher für die UFA schreiben (
Münchhausen, Der kleine Grenzverkehr
) – um anschließend einem Totalverbot vom Januar 1943 an bis zum Kriegsende zu unterliegen. An den eigenen Kompromissen, am eigenen Verhalten nach 1933 hat sich Kästner bis zu seinem Tode 1974 abgearbeitet, bei allen Erfolgen, die er auch nach dem Krieg noch hatte, mit der erneuten Arbeit als Feuilletonchef und Publizist bei der
Neuen Zeitung
, als Kabarettautor, als Erzähler und Dramatiker mit Werken wie dem
Doppelten Lottchen
( 1949 ) und der
Konferenz der Tiere
( 1949 ), der
Schule der Diktatoren
( 1956 ),
Notabene 45
( 1961 ) und der Kindheitsautobiografie
Als ich ein kleiner Junge war
( 1957 ). Als Person des öffentlichen Lebens, als P.E.N.-Präsident und Büchnerpreisträger hat er nicht unbedingt sein Werk, aber entschieden sich selbst politisiert; er protestierte gegen die Wiederbewaffnung und gegen Vietnam, gegen ein neues Schmutz- und Schund-Gesetz, er ging auf die Straße, wann immer er es für nötig hielt, denn er wusste, was es bedeutete, in einer Diktatur zu leben.
Dass Kästner im Nationalsozialismus verboten war, hatte zuallererst mit einigen Gedichten zu tun – mit
Die andre Möglichkeit
(»Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,/mit Wogenprall und Sturmgebraus,/dann wäre Deutschland nicht zu retten/und gliche einem Irrenhaus«) oder mit
Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?, Stimmen aus dem Massengrab, Das Führerproblem, genetisch betrachtet
oder dem
Marschliedchen
, in dem den Militaristen gesagt wurde, sie seien dumm und nicht auserwählt: »Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!« Ein Stein des Anstoßes war auch
Fabian –
die politische Schlagseite des Romans, der zwar nur vage im linken Spektrum bleibt, aber doch deutlich eine pazifistische Gesinnung erkennen lässt; und der offene Umgang mit Sexualität, der als obszön galt. So dürfte der Ausruf »Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in
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