Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
nicht zum Komponieren von genug Beichtsongs für eine LP, wie Warren Rokeach ihm aufgetragen hatte, der aus Verzweiflung über die Blockade seines Künstlers fünf Nächte im Hotel gebucht und von Tommys Vorschuss des Plattenlabels bezahlt hatte, denn er selbst hatte sich mit dem Kauf des Bergs in den Bankrott getrieben. Vielleicht war das Warrens heimliche Absicht: Geh auf dein Zimmer und stirb. Es wird nie ein zweites Album geben, Verve Records will aus dem Vertrag aussteigen und ist bereit, dir ein Selbstmordzimmer im Chelsea vorzuschießen, um dich loszuwerden.
Der Abend war kühl, die Sommerluft von einem kurzen Schauer gereinigt, das Wetter draußen besser als die Stimmung in seinem Zimmer. Er fand Zigaretten an einem Kiosk an der 23rd Street Ecke 6th Avenue, und als er merkte, dass er Hunger hatte, holte er sich an einem Hotdog-Stand eine Gabila’s Knisch. Kehrte dann mit dem Zigarettenpäckchen und der Kartoffeltasche ins Hotel zurück, weil ihm das Notizheft unter dem Arm peinlich war. Vor dem Eingang stand ein Bettler und bat ihn um »einen Quarter für was zu essen«. Tommy hätte ihm fast die in eine Papierserviette eingewickelte dampfende, fettigeKnisch in die Hand gedrückt, überlegte es sich dann aber anders und gab ihm stattdessen einen Dollar.
Es gibt breite Schluchten einerseits zwischen dem Folk Revival und den thematischen Songschreibern der Neuen Linken und andererseits zwischen der neu aufgekommenen und wahrscheinlich wichtigeren Schule von Songschreibern, die die transformativen Strömungen der zeitgenössischen Szene kanalisieren. Von Bob Dylan ermutigt, glauben viele von ihnen, diese Schluchten wären mit einem flinken Sprung zu überbrücken. Dem ist leider nicht so. Ästhetisches Verantwortungsgefühl und eine utopische sozialpolitische Integrität scheinen für die meisten New Guthries, die die Szene bevölkern, schwer oder gar nicht vereinbar zu sein. Unter den engagierten Lemmingssprüngen in die besagte Schlucht dürfte keiner erschütternder sein als Tommy Gogans Bowery of the Forgotten, ein ekelhaftes Amalgam aus Totenklagen, die sich beim Country & Blues anbiedern, und pseudoverschmitzter Lyrik, gespickt mit Binsenweisheiten des Mitleids mit seinem Gegenstand. Es ist einigermaßen undenkbar, dass die realen schwarzen Stadtstreicher von der Bowery, die für dieses Projekt ihre Namen und Lebensgeschichten hergegeben haben, auch nur den geringsten Genuss empfinden, wenn sie die schaurig sorgfältige Artikulation und das schlabbrige Blabla des sogenannten »Blues« hören, der dabei herausgekommen ist. Gogan exportiert Alan Lomax’ liberale Herablassung auf die verlorene Insel Manhattans, aber hey, Lomax hatte wenigstens den Anstand, einen Kassettenrekorder mitzuschleppen. Ist mein Einwand also, dass Gogan in die Haut eines Bluesmanns aus dem Delta des Mississippi schlüpft? Nein – wenn ich diesen Einwand vorbringen wollte, müsste ich ein Gutteil der besten Werke weißer Sänger der letzten Zeit bis hin zu Dylan ablehnen. Mein Einwand ist, dass Gogan die Haut des Bluessängers über so wenig eigene Substanz streift. Er streift sie über die Ankleidepuppe eines frommen Kostümschneiders – genauer gesagt den Iren für Touristen. In einem neuen Stück wie »Spanish Harlem Incident« bringt Dylan die Unverschämtheit und, jawohl, den Respekt auf, nicht nur wie ein Mann aus der Unterschicht leiden (was Gogans größter Wunsch ist), sondern auch wie ein solcher ficken zu wollen. Die Leute finden Dylan arrogant, abermir ist das tausendmal lieber als Gogans händeringendes Befindlichkeitsgezeter.
1964 war Bowery endlich veröffentlicht worden, nach Monaten beschwerlicher Kompositionsarbeit, der zu lang hingezogenen Suche nach einem verständnisvollen Plattenlabel und schließlich in letzter Minute einem Gerangel mit dem Justitiar von Verve, der im Vertrag der Gogan Boys eine Konkurrenzverbotsklausel für einen Zeitraum von sechs Monaten entdeckte, bevor Bandmitglieder Soloplatten herausbringen durften. Zu spät, um andere Newcomer noch zu überholen, falls das eine Rolle gespielt haben sollte. »Wer ist denn dieser P. K. Tooth«, hatte Rye geknurrt, als sie sich im Horse Shoe zu Kummerwhiskey und Spaghetti trafen. »Siebzehn Jahre alt, hab ich gehört. Ich schlage vor, wir stürmen die Büros vom East Village Other und prügeln ihm die Zähne in die Kehle.« Miriam, die normalerweise aus Prinzip anderer Meinung war als Rye, unterstützte diesen Plan lauthals, schlug dann aber
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