Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Welt.«
Ach, und dann Rose. Apropos unreparierbar. Rose, das Wunder in Tommys neuem Leben. Rose, der unverkennbare Ursprung von Miriams Sturheit, ihrem Zynismus und ihren Idealen, ihrem Sachverstand als Eingeborener von New York, dann aber auch der Ursprung der Kraft, mit der Miriam gegen ihren Ursprung kämpfte – gegen Rose, die das Terrain besetzt hatte, das Miriam fluchtartig verlassen musste. Gegen die tote Utopie der Gardens. Sie telefonierten jeden lieben Tag, Mutter und Tochter, oft eine Stunde lang. Klärten Missstände, komplizierte Fragen von Lebenden und Toten, diskutierten den Ausschluss der Schwarzen aus dem Vorstand der Queensboro Public Library und die Vergleichbarkeit der von Stalin verursachten Hungersnot in der Ukraine mit Hitlers Verbrennungsöfen.
Wenn Miriam das jüdische Einhorn war und Tommy sie gesucht hatte, ohne zu wissen, dass es sie gab, dann mochte Rose diejenige sein, die Tommy nie zu finden gehofft hatte (und ebenfalls ohne zu wissen, dass es sie gab): die Kröte im Garten des Einhorns.
Was, wenn die Kröte etwas wusste, das das Einhorn nicht wusste?
Dass Schummel schon immer ein Arschloch gewesen war.
Dass manche Dinge nicht zu reparieren waren. Nur welche Dinge?
Tommy und Miriam fuhren mit der 7 zur Bliss Street raus, um Rose zu besuchen, und auf dem Weg von der Hochbahn zu ihr skizzierte Miriam erregt die Jahre ihrer Jugend, zeigte ihm sentimentale Besonderheiten des Bezirks, aus dem sie schreiend weggelaufen war. Doch als sie den Gardens näherkamen, spürte Tommy, dass er über Miriams Jugend hinaus in seine eigene zurückstürzte. Er wurde nach Belfast und in die Mysterien Europas zurückgeschleudert.
Wenn Miriam und Rose telefonierten und Tommy im einzigen bequemen, auf der Houston Street ergatterten Sessel der Wohnung saßund die Gitarre zu stimmen vorgab, in Wahrheit aber ihrer Unterhaltung zu folgen versuchte, dachte er an die Wäschereilaster mit den Hakenkreuzen, die er bei einem Besuch in Dublin gesehen hatte, und seine Unsicherheit als Knabe, auf welcher Seite des Krieges ein Ire zu stehen hatte.
Miriams Aufstieg an Tommys Himmel befreite ihn aus der bleiernen Umlaufbahn um Peter und Rye. Eine Revolution gegen das Regime der Gogans anzuzetteln war eine Vorbedingung, um ein eigenes Leben als Erwachsener führen zu können. Wie ging man also mit Rose Zimmer um? Einerseits konnte man sagen, dass sich Miriam mit vierzehn von Rose losgerissen hatte, was eine schiere psychische Überlebensfrage gewesen war, so wie man aus einem Bombenkrater herauskletterte. Andererseits war Rose nie auch nur ansatzweise entmachtet worden. Sie war ein Monument, ein dunkler Turm, eine Zikkurat. Nicht nur war die Kröte vielleicht größer als das Einhorn; vielleicht war sie größer als der Garten. Von Tommy verlangte sie keinen besonderen Standpunkt oder Gestus im Austausch für ständiges Nachdenken darüber, was kein Mann je lösen konnte. Schaut auf mein Werk und verzagt.
Wenn Rose sich ins Fäustchen lachte, war das Fäustchen das 20. Jahrhundert. Man lebte in ihrem Fäustchen.
Lernte Tommy Rose lieben? Sie hatte Miriam zur Welt gebracht, das sprach für sie. Aber die Aussicht war furchteinflößend, und er hätte nicht gewusst, wo er anfangen sollte. Lernte Tommy sie hassen? Miriam hasste ihre Mutter genug für zwei – da gab es kaum Spielraum. Dann wieder, und das mochte am Ende entscheidend sein, verband Miriam und ihre Mutter eine Zuneigung von einer Tiefe, die Tommy als Liebenden und als Sohn eifersüchtig machte. Seine eigene Mutter schrieb ihm einmal im Monat einen Brief, gefaltet und in hellblaue, mit rotweißen Streifen gesäumte Luftpostumschläge gesteckt, ihre Füllfederhandschrift blumig geschwungen, mikroskopisch klein und kaum der Mühe wert, so eintönig waren ihre Predigten. Tommy schrieb zurück, in die verständnislose Vergangenheit von Ulster zurück,die partout nicht wahrhaben wollte, dass sie Vergangenheit war, ein Bilderbuch, aus dem er herausgewachsen war.
Seine Mutter fragte Tommy in ihren Briefen, ob er warme Socken für den Winter hatte. Sie bat ihn brieflich, Rye zu bitten, sich bitte bei ihr zu melden. Und in jedem einzelnen Brief erwähnte sie, dass der Musikalienladen an der Burdon Lane mit dem Abend am Kamin immer noch gute Geschäfte machte.
Was ihm als einzigem Musikalienladen auf der Welt gelang. Und Tommy wäre nicht schockiert gewesen, wenn er gehört hätte, dass seine Mutter den Inhabern des Ladens an der Burdon Lane für jede verkaufte
Weitere Kostenlose Bücher