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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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dabei am Oberschenkel kurz die Spitzenstrümpfe, über denen sich schneeweißes Fleisch wölbte. Gesegnet seien die neuen knielangen Röcke. Nur Zyniker konnten behaupten, die Menschheit mache keine Fortschritte.
    Sie stellte das Gerät auf den Schreibtisch, trat zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, als Lenny die Führung übernahm, das Stromkabel des Geräts abwickelte, eine Steckdose suchte, seine kostbare Spule aufsteckte, am Hörkopf einfädelte, mit einem Whrrrr ausprobierte und dann eine Pause machte. Er hob die Hand. »Wir freuen uns, Ihnen den neuen Fernseh- und Radiotitelsong des New Yorker Dreh- und Angelpunkts der Continental League präsentieren zu dürfen, dem Baseballverein von Arbeitern, für Arbeiter und mit Arbeitern, den Sunnyside Proletarians –«
    »Das dürfte der bisher schlechteste Name sein«, flachste die Sekretärin.
    »Allgemein wird man sie natürlich die Pros nennen. Wie meinen Sie das, der bisher schlechteste?«
    »Können Sie sich nicht vorstellen, dass hier am laufenden Meter Namensvorschläge eingehen? Per Telegramm, Telefon und Rauchzeichen. Die eine Fraktion will, dass sie Gi-Odgers oder Dodgants genannt werden. Gut, ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Ihr Vorschlag noch schlechter ist. Ich hab schon von den Empire Staters gehört, den Long Islanders –«
    Lenny machte eine wegwerfende Geste. »Amateure. Sie sprechen von den Spinnern, die draußen im Gebüsch jaulen – ich bin ein Dutzend Mal bei Shea gewesen, Ihr Terminkalender kann’s bezeugen. Wir waren zusammen beim Lunch. Shea hat mir selbst gesagt, wenn es erst soweit ist, muss man eine Mannschaft aus dem Nichts aufbauen. Ich habe die Spieler. Was wissen die denn schon von Queens? Ich bin der Bluthund, ich hab für sie die Nase am Boden. Flushing Proletarians wäre noch was, falls Shea unbedingt die Lage mit reinbringen will. Ich finde, Sunnyside hat den besseren Rhythmus. Hören Sie zu. «
    Whrrrr. Whrrrr.
    »Ich hör ja zu, Sie Schlaumeier.«
    Was für ein Tiger Darlene doch war, jetzt, wo Lenny sie aus ihrem Käfig befreit hatte! Er hob die Hand. »Bitte. Gleich fängt’s an.« Miriams Folksänger räusperte sich und stimmte eine Saite. Dann leierte sein ausdruckslos schriller Tenor durch den Wartebereich, und die angeschlagenen Saiten gaben ihm etwas Farbe:

    I met a man, a working chap
    Heart broken by a team
    He grabbed my arm, he held me there
    And told me of his dream
    New York may hold a million stories
    But it’s not for million-aaaaires
    Our ball clubs fled for western shores
    The Yankees win but no one cares –
    »Das geht nicht«, sagte Sheas Sekretärin. Whrrrr. Lenny legte den Hebel um und hielt das Band an. »Nicht reden, sonst verpassen Sie den Refrain. Was geht nicht?«
    »Die Yankees erwähnen. Das ist sinnlos. In einem Erkennungssong kann man nicht die Konkurrenzmarke erwähnen.«
    »Die Mannschaft wird als Dorn in der Pfote der Plutokraten verstanden«, sagte Lenny. »Da draußen gibt es nicht nur enttäuschte Fans von Dodgers und Giants, das können Sie mir glauben – da gibt es einen Ozean an Yankee-Hassern. Gerade der Schurke bringt das Blut zum Kochen.«
    »Ich würde mehr Optimismus empfehlen.«
    »Das hier ist ein sogenanntes Demoband. In der endgültigen Version gibt es musikalischen Kontext, Trompeten, Glockenspiel, siebenundfünfzig Sorten Sirup, um die Botschaft schmackhaft zu machen.«
    »Na, sehr überzeugt klingen Sie ja selber nicht.«
    »Pssst. Der Refrain.« Whrrrrrr –

    Then from workers’ ranks a ball club rose!
    A starting nine to topple equality’s foes!
    Here to salve the people’s woes!
    The Sunnyside Pros!
    The Sunnyside Pros!
    Look – away – eeeeeooohhh!
    »Was soll denn das Gejodel?«, fragte Flora. »Der klingt ja wie ein Hinterwäldler aus der Dust Bowl.«
    »Das ist jetzt modern«, sagte Lenny entschuldigend. Er brach hier ab, weil er wusste, dass danach nur noch Gogans sängerischer Schnörkelschutt kam. Lenny und die Sekretärin neigten die Köpfe und berührten sich fast. Vielleicht konnte Lenny sie durch den Reinfall des Songs für sich gewinnen – ein fragwürdiger Erfolg. Er fand Gogans Lied ja selber zweifelhaft. Es nicht mal an Sheas Tippse vorbeizubringen, konnte fatal sein. »Das macht heute guten Gesang aus, die Stimme des Volkes. Vertrauen Sie mir.«
    Lenny fragte sich, ob sein schweißgetränktes Jackett den Gestank des Zweifels verströmte, der ihm selbst verborgen blieb, weil ihn überall eine Wolke von dem Zeug

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