Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Tagträumen sah Lenny Schlagzeilen von der World Series oder dem All-Star Game: Heuman macht Mantle dreimal aus! Mickey wird mickrig!
Mantle und die Yankees konnten ihn am Arsch lecken.
Und Mim konnte ihn mal gern haben, weil sie ihn nicht liebte und nie rübergelassen hatte.
Konnte ihn mal gern haben war entschieden netter als am Arsch lecken; da steckte noch die Hoffnung auf Zärtlichkeit drin.
Lenny Angrush und Anwalt Shea würden es ihnen allen zeigen. Shea und sein Partner Branch Rickey, der heldenhafte Überwinder der Rassenschranken, auch wenn sich Robinson als Republikaner entpuppt hatte, einer dieser Negertrottel, die Ike mochten. Sie hatten Rickey auf ihrer Seite, Senator Kefauver rückte die Monopoltaktiken der Clubbesitzer ins Rampenlicht, und zusammen würden sie eine Liga, eine Mannschaft und ein Stadion im Kernland schmieden, in den Sümpfen von Flushing Meadows. Das alles hing von dem ab, was Lenny Angrush zu bieten hatte: einem kleinen Fünf-Zehn-Pitcher vom Queens College mit einem Curveball, den kein Mantle erreichte. Er hatte den Pitcher und einen Namen für die Mannschaft, der den Geist der Arbeiterklasse verkörperte. Den Pitcher, den Namen und den Song auf dem Band.
Und wenn er selbst mit dem Song nicht viel anfangen konnte, wer war Lenny Angrush denn schon, dass er da mitreden wollte?
Die Melodie des irischen Folksängers sollte den Wendepunkt darstellen. Miriam liebte den Sänger und hatte Lenny hintergangen. Aber wie sagte Branch Rickey immer? Glück ist nur der Überrest der Berechnung. Der Erkennungssong der Mannschaft war der Überrest von Lennys Begehren. Der Mehrwert, wie das bei Marx hieß.
Als Dora oder Dolly oder Flossy (ihm fielen tausend Namen für sie ein, warum sollte er sich auf einen beschränken?) wieder auftauchte, sprang Lenny hoch, packte ihren bloßen Arm und ließ die Aktentasche fallen, nicht aber die Bandspule. »Wo ist Shea? Ist er frei?«
»Lassen Sie meinen Arm los, Sie tun mir weh.«
Voller Genugtuung merkte er ihrer Sprachfärbung an, dass sie aus Canarsie kam; unter Zwang ließ sich die Herkunft aus Brooklyn nicht mehr leugnen, die Politur des Sprechunterrichts konnte die Maserung nicht überdecken. »Das kann nicht warten.«
»Sollte es aber. Mindestens eine halbe Stunde. Er hat eine Besprechung mit einem Klienten.«
Lenny verfolgte, wie sein Daumenabdruck am Oberarm von Sheas Sekretärin sichtbar wurde, und sagte sich, warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Die Yankees konnten ihn am Arsch lecken, und Mim konnte ihn mal gern haben. Carpe diem, schnapp dir ausnahmsweise mal selbst einen Überrest. Lenny zügelte seine hochfahrende Tirade. Wenn er wollte, konnte er seine Stimmlage um eine Oktave absenken, antichambrieren, bauchpinseln, umgarnen. Das machte er jetzt: »Dann vergessen Sie Shea eben. Ich möchte, dass Sie es sich anhören.«
»Was anhören?«
Hatte sie keine Augen im Kopf? »Sie haben hier doch garantiert ein Tonbandgerät, um eidesstattliche Aussagen aufzunehmen, die Mitschnitte der Detektive zu verfolgen –«
Sie runzelte die Stirn. »Was denn für Detektive? Ich glaube, Sie denken da an etwas andere Anwälte, Mr. Angrush. Bill Shea sitzt im Präsidium des Brooklyn Democratic Club. Er hatte gestern Lunch mit Robert Moses –«
»Einer unserer verdienstvollsten Geschäftsleute, da er in unserem ganzen Kaff mitmischt. Soll ich Ihnen was sagen? Zaubern Sie das Tonbandgerät herbei und vertrauen Sie mir. Ich weihe Sie ein, noch bevor es Shea zu hören bekommt.«
»Mr. Angrush, was machen Sie eigentlich beruflich, wenn Sie nicht herkommen, um uns zu belästigen?«
»Sie zu belästigen ist mein Beruf. Ich bin das, was man in der Regel als einen agent provocateur abtut. Und ich schäme mich nicht, das zu bekennen.«
Donna oder Floris riss – vielleicht unwillkürlich – die Augen auf. Dann kniff sie sie zusammen. Traute der Sache nicht. Recht so. Sollte seine Rhetorik doch für rosarote Daumenabdrücke auf ihren empfindlichen grauen Zellen sorgen. Doreen oder Floreen wusste, dass Shea Lennys Anrufe entgegennahm. Er konnte es sich leisten, ihr unplausibel vorzukommen – er war unplausibel! Aus der Verwirrung, die jetzt in den Augen der Sekretärin lag, bestanden Lenny Angrushs sporadischeEroberungen. Wie hypnotisiert glitt sie zu einer kleinen Abstellkammer, die nur unvollständig hinter der Holztäfelung verborgen war. Leise ächzend hob sie ein Tonbandgerät von einem Regalbrett in Augenhöhe und enthüllte
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