Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Wenn Cicero nicht unsichtbar war, musste er sich seine nächsten Schritte überlegen. Doch heute tat oder sagte Cicero endlich einmal nichts, was den Chor zum Schweigen gebracht hätte, der ihm empfahl, die Karriereoptionen eines Footballspielers zu prüfen. Die Gewohnheit war zu stark.
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Dreiundvierzig Jahre später dienten Ciceros Dreadlocks der Manipulation von Gehirnen, seine mentalen Fernbedienungsströme waren struppige Tentakel geworden. Man konnte sie sich als Kondensstreifenin Chiaroscuro vorstellen, die permanent zeigten, wie sein Kopf von all dem Mist explodierte, den er im Lauf der Zeit aufgenommen hatte. Konkret verkündeten die Dreadlocks aber Folgendes: Cicero hatte mehr Zeit, als man sich vorstellen wollte, darauf verwendet, etwas nicht zu reinigen, Regeln nicht zu befolgen, die jede Mutter jedem Kind einbleute: Du! Kämmst! Dir! Die! Zotteln! Schaut auf mein Werk und verzagt. Man musste sich nur überlegen, wieviel Zeit es gekostet hatte, wieviele Jahre Cicero es ausgehalten hatte, eine Baustelle zu sein. Er hatte seinen Kopf nämlich vor aller Augen ausgebaut, mitten auf der Straße hatte er Haare geweint. Ja, geweint: Cicero sah sich als eine Art wandelnden Kummer. Hundertmal hätte er den Kurs ändern können, sie an jedem beliebigen Tag zu allseitiger Erleichterung kappen können. Aber er hatte eisern durchgehalten. Obwohl er körperlich schon ein problematisches Bild abgab, hatte er sich auch noch ein Geweih stehen lassen. Die aufdringlichen Fehlbildungen sollten einem auf den Keks gehen, sollten einem die Luft zum Atmen nehmen. Wenn man schon geahnt hatte, dass man keine Lust hatte, im Kino in der Nähe dieses schwarzen Mannes zu sitzen, bekam man hier die Begründung nachgeliefert. Die Dreadlocks waren die Visualisierung seiner Hirnstimme, ein stummes Brüllen. Dabei von phantastischer Abstreitbarkeit – das war doch bloß eine Haarmode. Wer konnte denn so paranoid sein, jemandem seine Frisur übelzunehmen?
Was es Cicero gekostet haben mochte, so lange im Verborgenen zu bleiben, wurde von der Mühe aufgewogen, sein Schweigen abzuschütteln. Cicero akzeptierte, dass er ein wütender Mensch war. Er war auf jeden Fall ein Mensch geworden, den nichts beschämen konnte. Er beschämte andere. Darin war er Rose ähnlicher als Miriam. Miriam war eine Trösterin und Anregerin. Sie begrüßte soziale Rituale auch in ihren launenhaften Fiktionen – alle Straßen führen ins Nichts, wähle die deine mit dem Herzen! Cicero hatte es genau wie Rose lieber, wenn seine Zuhörer am Ende betäubt waren und bluteten, alle Masken auf dem Boden oder in Flammen.
Für Cicero war der Tadel eines unverhohlenen Rassisten oder Schwulenhassers nicht nur überflüssig, sondern todlangweilig. Die Macht, die in solchen Vorwürfen lag, übte man lieber aufs Geratewohl aus, gegen die erklärtermaßen verständnisvollen und politisch korrekten Kollegen oder Studenten. Cicero ließ bei einem gemütlichen Plausch gern mal ein beiläufiges »Dir ist aber schon klar, dass du ein Rassist bist« fallen. Je weniger ein Grund dafür auf der Hand lag, desto destabilisierender die Wirkung. Genau diesen Wunsch hatte Sergius Gogan im Meer in ihm angefacht. Cicero wollte sich selbst aus Prinzip zum Problem machen. Wünsch dir deine hübsche jüdische Familienromanze bloß nicht ohne mich. Sie existiert nicht ohne mich. Mach Rose dafür Vorwürfe, wenn du jemandem Vorwürfe machen musst. Sie hat die Schokolade in die Erdnussbutter gemischt.
Planeten mit Würde? Cicero hatte noch keinen Fuß auf einen gesetzt.
»Erwartet er Sie?« »Er sollte mich immer erwarten, meine Teuerste. Er sollte sich glücklich schätzen, dass ich bei ihm auftauche. Sagen Sie Mr. Shea, ich habe, was er braucht, obwohl er gar nicht weiß, dass es ihm fehlt.« Lenny Angrush drückte den Karton mit der Bandspule auf seine Aktentasche, damit er sein Taschentuch herausziehen und sich die Augenbrauen abtupfen konnte. Die Anwaltskanzlei war, zumindest für Brooklyner Verhältnisse, vornehm und modernistisch eingerichtet, aber der Empfangsbereich hatte keine Klimaanlage. Vielleicht steckte eine Strategie dahinter, um Bittsteller schon an der Schwelle zu dem mächtigen Mann mürbe zu machen. Dem großen Bill Shea, dem glanzvollen Brooklyner Anwalt, der dazu ausersehen war, den Baseball in die Sumpfgebiete von Flushing Meadows zu bringen.
Lenny hatte vor Monaten einen Fuß in die Tür bekommen. Shea suchte eine Anhängerschaft an der Basis, auf die er die
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