Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Kim beispielsweise. Stella ist im Moment ihre beste Freundin, mit ihr hat sie einen Joint durchgezogen, bevor sie in die U-Bahn zum Rockefeller Center gestiegen ist, und Stella hat sich bereiterklärt, auf ihren Sohnemann aufzupassen, während Miriam in der Show sitzt. Tommy, der liebende Vater, hat sich mal wieder aus dem Staub gemacht. Ist zu Woody Guthrie zurückgekehrt, der ebenfalls zum Stamme derer gehört, die es nicht bei Weib und Kind hält, ist heute per Eisenbahn den Hudson hochgefahren und gibt ein Konzert zur moralischen Unterstützung des zerlumpten Häufchens von Quäkern, die vor dem Gefängnis in Ossining eine Mahnwache gegen die Todesstrafe abhalten, etwas, das Miriam immer seine Sisyphoskonzerte nennt. Wobei das eine treffende Bezeichnung für Tommys ganzes letztes Jahrzehnt wäre. Die Karriere, die Miriam, Inbegriff der großen Allfrau hinter jedem großen Mann, stets unerschütterlich unterstützt hat und an die sie jetzt lieber nicht denkt. Stella Kim beispielsweise würde sofort volle Kanne auf Peter Matusevitch abfahren.
Und umgekehrt wahrscheinlich auch, denn Stella Kim ist selber eine heiße Braut. Sie ist wirklich etwas Besonderes, hat viel mehr drauf als die anderen bedröhnten Mädchen in Miriams Kommune. Es ist nämlich ganz allgemein so, dass Miriam, seit sie die Schreckensschwelle derDreißig überschritten und einen zweijährigen Sohn hat, lebende Ebenbilder ihres früheren Selbst sammelt, auch wenn die meistens keinen blassen Schimmer haben und hinter ihren blankgebürsteten Haarkaskaden kaum einen Satz geradeaus denken können. Trotzdem umfängt Miriam sie in ihrer Sphäre, spielt große Schwester und beste Freundin, versorgt sie mit gutem Gras und echtem Wissen, die barfüßigen und der-Pille-sei-Dank-nicht-schwangeren Lilien der Gegenkultur. Die, wenn sie Glück haben, die Last chauvinistischer Hippiepartner zu tragen haben, was von ganz eigener Ironie ist. Tommy Gogan ist wenigstens Ire und berühmt oder berühmt gewesen und hat seinen Ruhm und andere, materiellere Aussichten der großen Sache gewidmet – Alibis, die den Scharen der Schlubs mit ihren Pferdeschwänzen nicht zur Verfügung stehen, die von ihren Schicksen immer noch das Wäschewaschen erwarten. So viele von denen kommen von der NYU oder sind Aussteigerinnen aus Bard, Vassar oder Stony Brook, die es in New York an Land gespült hat. In der Highschool noch treue Kirchgänger, Mitglieder von Monkees-Fanclubs, zaghafte Konsumenten der Amphetamine aus dem Badezimmerschrank, ganz allgemein Opfer der narkotisierenden Wirkung der Vorstädte. Miriam, Platzanweiserin der Stadt, Enthüllerin ihrer okkulten Ecken, hätte den meisten von ihnen schon mit siebzehn, als sie am Queens College abgebrochen hatte, die große Schwester geben können.
Stella Kim, Hunter-Absolventin aus der Bronx, ebenfalls Überlebende einer eisernen roten Mutter und ein ausgebuffter Pfundskerl, gibt Miriam wirklich das Gefühl, acht Jahre jünger zu sein. Das redet sich Miriam jedenfalls ein. Ein Jahr zuvor haben sie sich bei einer Solidaritätskundgebung für Cesar Chavez in einer Zentrale der Yippies kennengelernt, und Stellas launenhafte Intensität war Miriam schon aufgefallen, bevor sie eine Zigarette schnorrte. »Zeitverschwendung«, hat Miriam geurteilt, als sie schon bald die Kundgebung verließen, um sich Falafeln zu schnappen und durch den Park zu laufen. »Ich rühr schon seit einem Jahr keinen Eisbergsalat mehr an, aber das bringt nichts. Boykott geht zu langsam, warte, ich zeig’s dir.« Sie zogStella zum Associated Supermarket auf der 8th Avenue, wo sie hinter den Müllcontainern einen Joint rauchten, dann hineingingen und ihre Einkaufskörbe mit Eisbergsalat und Migranten ausbeutenden Weintrauben füllten, soviel sie tragen konnten. Als sie unbeobachtet waren, räumten sie in einer Tiefkühltruhe Platz frei und versteckten den Salat und die Trauben unter Plastikbeuteln mit gefrorenen Erbsen und Möhren. »Nur zehn Minuten im Eis, und der Salat ist ruiniert. Die Trauben können sie vielleicht noch verkaufen, aber schmecken werden sie nicht mehr.«
»Cool«, sagte Stella Kim schwer beeindruckt. »Aber wofür ist die Babynahrung?«
»Für ein Baby. Komm.« Sie schleifte sie mit nach Hause, um mit Sergius und Tommy anzugeben, ohne sich als Feministin der Kleinfamilie zu schämen, zumindest nicht an einem Abend, an dem Tommy zu Hause geblieben war und versucht hatte, dem Jungen ein Fläschchen zwischen die Lippen zu schmeicheln, als
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