Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Als er aber überall im Greenroom Hände schüttelt, damit sich alle wie zu Hause fühlen und ihrem bevorstehenden Bühnenauftritt zuversichtlich entgegensehen, ist Art James ein reines Zeitreisephänomen, der plombierte Abgesandte eines unbestimmten Augenblicks in den Fünfzigern, als Menschen in Miriams Alter das Fernsehen gerade in Form eines eleganten und schlagfertigen Exemplars US -amerikanischer Männlichkeit aus dem nicht näher bestimmten nördlichen Mittleren Westen kennengelernt hatten, eben als »Moderator«. Was er moderierte, spielte kaum eine Rolle. Vor allen Dingen zeichnet sich dieser Typ Mann durch die erfolgreiche Sublimierung des verwirrenden Traumas aller Weltkriegsveteranen aus, deren Generation ihn doch erst hervorgebracht hat. Dieser Typ hat das kollektive Unbewusste in einem solchen Ausmaß kolonialisiert, dass auch John Lindsay, der gegenwärtige Bürgermeister von New YorkCity, im Grunde ein »Moderator« ist. All den trivialen Fakten zum Trotz, die ihr schneesturmartig durch den Kopf stieben und die sie für die Teilnahme an einer der anspruchsvolleren Quizshows im Fernsehen qualifizieren, weiß Miriam nicht – und das, obwohl sie eine fast schon amtliche Vorliebe für die jüdischen, polnischen oder russischen Geheimnamen diverser US -Berühmtheiten mit Allerweltsnamen mitbringt –, dass Art James als Artur Simeonvich Elimchik auf die Welt gekommen ist.
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Der Name des Spiels. Als sie die Kulisse der Show betritt, die sie fünfmal die Woche anschaut, überkommt Miriam ein ähnlich surreales Gefühl, als würde sie ihr Gesicht plötzlich in der Fotomontage der Prominenten entdecken, die die Wachsfiguren-Beatles auf dem Cover der Sgt. Pepper’s- LP umgeben – dass sie diese fast ausnahmslos identifizieren kann, gehört zu den kleinen Kunststücken, bei denen ihren Freunden immer die Münder offenstehen, wenn sie hören, welch eine reichhaltige Palette an Eigennamen ihr zu Gebote steht. Die Kulisse des Wer-Was-oder-Wo-Spiels ist eine etwas schwülstige Bühne, auf der die drei Kandidaten wie Produkte im Schaufenster aufgereiht werden und vor einem blauen, mit funkelndem Lametta bestickten Vorhang sitzen – Warum ist ihr das noch nie aufgefallen? Hat sie das Funkeln für statische Störungen ihres uralten Fernsehgeräts gehalten? –, darunter die drei gigantischen Ws und die Anzeigetafeln der drei Mitspieler. Diese Anzeigetafeln sind alle auf die »$ 125« eingestellt, die jeder Kandidat zu Beginn erhält, damit er ein erstes Mal setzen kann. Der Ansager erklärt kurz die Spielregeln: Jeder Kandidat muss sich für eine der drei Kategorien entscheiden, möchte er lieber eine Wer-, eine Was- oder eine Wo-Frage beantworten? Dann setzt er je nach Selbstvertrauen eine bestimmte Summe auf diese Kategorie. Das Studiopublikum, das hinter grellen Scheinwerfern verborgen ist, produziert nur ein fernes Summen, das sich leicht ausblenden lässt. Miriam macht eher die Nähe zu Peter Matusevitch und Graham Stone befangen – als einzige Frau ist siezwischen den beiden Männern plaziert worden und fühlt sich wie bei einer Abendgesellschaft verpflichtet, auf die Wellen der Bedürftigkeit zu reagieren, die ihr von beiden Seiten entgegenschlagen. Während unerklärlich laut die Titelmusik gespielt wird, beugen sich beide Gegner vor und wünschen ihr viel Glück. Bei Stone kommt das verspielt rüber, er zeigt die Schneidezähne, was den kräftigen Körper und die buschigen Brauen wettmacht. Matusevitch zeigt eine verschlagene Traurigkeit, die so tut, als täte es ihm leid, dass er sie genauso ausradieren muss wie all ihre Vorgänger. Der Ansager intoniert: »Wer? Was? Oder wo? Das ist der Name des Spiels! Und hier ist Ihr Moderator: Art James!«
James begrüßt die Mitspieler und stellt sie auf die übliche Weise vor: Wohnort, Beruf oder – bei Hausfrauen – mit einer Anekdote, die sich aus einem Hobby oder einem »Steckenpferd« ergibt. Als Miriam für die Sendung durchleuchtet worden ist, hat sie sich als »Aktivistin« vorgestellt und vorgeschlagen, man könne erwähnen, dass sie bei den Protesten am Tag der Arbeit auf den Stufen zum Kapitol zu Unrecht festgenommen worden sei. An dem Tag sind zwar Hunderte festgenommen worden, aber Miriam sieht sich gern als eine der »Capitol Steps Thirteen«, weil sie in einer Zelle mit dreizehn Frauen festgehalten worden ist, weil der Anwalt der ACLU sie sechsunddreißig Stunden später auf Kaution freibekommen hat, weil sie in dieser Zeit nur eine
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