Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Matusevitch, ein Hipster aus der Werbebranche, der am Montag – also gestern – eingestiegen ist und »die ganze Woche« gewonnen hat. Der alberne bärtige Junge in seinem Anzug plappert auf sie ein, während er sie in die schaumisolierten und mit Teppichboden ausgelegten Innenräume des Senders führt, und sein Auftrag, dafür zu sorgen, dass sich die Kandidaten wohlfühlen, verschmilzt mühelos mit seinem Kifferpalaver, dieser leiernden Fasziniertheit von allem und jedem. Hier seien die Toiletten, Miriam müsse über das Tagesgeschehen ja wahnsinnig gut Bescheid wissen, wenn sie für die Sendung ausgewählt worden sei, zu schade, dass man das Chrysler Building durch dieses Fenster nicht sehen könne, möchte sie einen Kaffee? Die komisch gefälschten Tage, die hier herrschen, dass der Montag schon den Dienstag enthält und der Dienstag den Rest der Woche, passen bestens zu dem vom Assistenten verbreiteten Nebel der Annäherung.
Auf einer allgemeineren Ebene passt es bestens zu Miriams New York im neuen Jahrzehnt, dass der süße Haschbruder sie auf diese Weise hier abholen kommt. Als hätte sie ihn heraufbeschworen, ihn ins Dasein gekifft. Einst zog man auf der Suche nach solchen Essenzen und Begegnungen aus den trostlosen grauen Landen, die sich in alle Richtungen erstreckten, zu einem kleinen verzauberten Quadranten. MacDougal Street, Mott Street, Bleecker Street, einem Ziegelkeller an der Barrow, wo die Instrumente eines Jazztrios Staub fingen.Die winzige Bevölkerung des Hipsterlandes zog in jenen Tagen mit ansehnlichem Tempo neue Mitglieder an. Jeder, der sich auf der postkartengroßen Szene präsentierte, hatte sich allem Anschein nach fünf Minuten zuvor Koteletten stehen lassen und und war versessen auf die Anerkennung der erlesenen kleinen Schar, die ebenfalls von Allen Ginsberg, Mezz Mezzrow oder Seymour Krim angeturnt war. Wenn man damals auf der Straße an Tuli Kupferberg oder Ramblin’ Jack Elliott vorbeilief, grüßte man sie nicht nur und wurde herzlich zurückgegrüßt, man wusste auch, dass Elliott genauso ein New Yorker Jude war wie Kupferberg, ein offenes Geheimnis für jedermann bis auf die Spießer, die dafür zahlten, seine Cowboynummer zu sehen.
Ein Jahrzehnt danach sind die Schwingungen von Greenwich Village weitergerankt und haben über Nacht die ganze Halbinsel überwuchert. Klar, die Hippies haben den ganzen Planeten mit ihren Paisleymustern zugedeckt, Blumenkinder treiben durch die Straßen und trampen durchs Land. Die Manhattaner Variante ist aber komplexer und überzeugender. Die New Yorker, eine Unterart der Spezies Mensch, die zu kaufmännisch orientiert ist, um Unterbrechungen zu dulden, haben es mit ihrer notorisch erwerbstüchtigen Ungeduld geschafft, angeturnt zu werden , ohne auszusteigen. In jedem x-beliebigen alten Format wie etwa einer im Rockefeller Center produzierten NBC-Quizshow wimmelt es jetzt nur so von verkleideten Freaks wie dem Jungen hier. Keine Kaputniks, widmen sie sich dem, was in der Stadt getan werden muss, mit derselben Effizienz wie die Tatmenschen, die sie – und sei es nur in Gänsefüßchen – ersetzt haben.
Peter Matusevitch, der Werbefuzzi und bisherige Champion der Woche, gehört ganz offensichtlich derselben gutartigen Verschwörung an. Miriam, die jetzt zusammen mit dem Assistenten und dem Buchhalter in der kuschligen Oase des Greenrooms sitzt, beobachtet auf dem Videobildschirm ihren baldigen Gegner. Matusevitch trägt einen minzgrünen Anzug mit breiten Aufschlägen und einen elegant gewachsten Schnurrbart, der aber nicht so buschig ist, dass er nur noch albern wirken würde. Die längeren Haare hat er säuberlich über beideOhren gekämmt und spricht mit zugleich mokanter und lieber Stimme, während er das bisherige Gegnerpärchen des Wer-Was-oder-Wo-Spiels eliminiert, als wollte er den kleinen Gewaltakt ihrer Abfertigung in eine Art Verführung verwandeln. Nach Abschluss der Operation kommt Matusevitch live in den Greenroom, und Miriam erlebt gleich den nächsten Augenblick gegenseitigen Erkennens, wenn auch diesmal auf höherem Niveau als bei dem Assistenten, dem sie die Zuneigung einer großen Schwester entgegenbrachte: Matusevitch ist echt ein scharfer Typ. Auch wenn die Madison Avenue im Großen und Ganzen der Satan ist.
Nicht dass Miriam auf Liebesbeute aus wäre, oder wenn nur im Sinne der, genau, der großen Schwester, die für ihre alleinerziehenden Kommunardinnen an der Grand und Carmine Street auf die Pirsch geht. Stella
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