Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Männlichkeit wie die Kamelknochen zurück.»
Mitten in ihrem Gekicher bemerkt Deqo einen Tumult vor dem Fenster. Sie schlängelt sich unter dem Bett hervor und schiebt den Vorhang zur Seite.
Vier Männer verfolgen eine einsame Gestalt im Anzug. «Bleib sofort stehen!»
«Ich bin unschuldig! Ich schwöre es bei meinem Glauben!», schreit der Flüchtende, rennt aber weiter.
«Schießen!», befiehlt der Anführer, und die Soldaten gehorchen.
Deqo sieht, wie der Mann von Kugeln in den Rücken getroffen wird, sein Körper eine merkwürdig verdrehte Haltung annimmt. Die Beine tragen ihn noch ein gutes Stück, ehe er am Tor der Villa auf die Knie fällt.
«Dann schwör jetzt auf deinen Glauben, toter Mann!», ruft einer der Soldaten aus.
Deqo betrachtet seinen Tod mit der gleichen Distanziertheit wie die Fernsehsendung. Sie begreift nicht, warum diese erwachsenen Männer einander quälen, und ist dankbar dafür, dass eine Glasscheibe sie von ihnen trennt.
Sie wendet sich wieder der Sendung zu, sieht den Heldentaten von Sheikh Sharif und seiner Frau gleichgültig zu, bis eine Sängerin die Bühne betritt. Sie erkennt die Lieder von Nasras Kassetten wieder, aber bei dieser Frau klingen sie trauriger, die Melodie langsamer. Sie holt sich aus der Küche eine überreife Banane und eine Packung Lutscher undsieht sich den Rest der Varietévorstellung an, bis nur noch Schnee über den Bildschirm rieselt. In blaues Licht getaucht und vom Rauschen eingelullt, schläft Deqo bei laufendem Fernseher ein.
Ein Lastwagen bringt Filsan und Groß-Abdi ins Krankenhaus, zusammen mit den Leichen von Roble, Klein-Abdi, Abbas, Samatar und dem namenlosen Fahrer. Auf dem Boden des Fahrzeugs schwappt das Blut, es stammt hauptsächlich vom Fahrer, dem ein Granatsplitter fast den Kopf vom Hals gerissen hat. Roble liegt flach auf dem Rücken, starrt den Mond an, der so hell leuchtet, wie er es vorhergesagt hatte. Der Adrenalinrausch ist vorbei, und jetzt spürt Filsan die Schusswunde in der Hüfte; sie presst die Hand auf die Hose, und zwischen ihren Fingern quillt Blut hervor.
Kettenklirrend und quietschend öffnet sich das Tor zum Hauptgebäude des Krankenhauses; ein blau gekleideter Krankenwärter hilft ihr hinten aus dem Fahrzeug heraus, Groß-Abdi wird auf einer Trage fortgebracht. Obwohl ihm ein Schuss den Unterleib aufgerissen hat, hat er weitergekämpft, jetzt aber jammert er wie ein Kind und fleht Gott um Hilfe an, die Ärzte und seine Mutter. Filsan hält sich an dem Krankenwärter fest, während der Lastwagen zur Leichenhalle weiterrollt, ihr Herz ist so schwer, als wäre es mit Dynamit gefüllt. Fassungslos schüttelt sie den Kopf, sie wünscht sich, dass es möglich wäre, die Zeit auch nur eine halbe Stunde zurückzudrehen.
«Beeilung, hier draußen ist es nicht sicher», warnt der Krankenwärter.
Er bringt sie zur Notfallstation. Vorsichtig müssen sie sich zwischen den Betten und den Verletzten auf dem Boden hindurchlavieren, die an verschiedenen Schläuchen hängen. Eine Schwester mittleren Alters und in rosa Uniform führt sie zu einem schmutzigen Bett in der Ecke, das von einem Vorhang geschützt ist. Schroff schickt sie den Krankenwärter fort, befiehlt Filsan, sich hinzulegen, und zieht den Vorhang zu – es klingt als würde man Messer schleifen –, und fragt die junge Frau, was ihr fehlt.
«Meine Hüfte», wimmert Filsan.
Die Schwester zerrt Hose und Unterhose herunter und drückt mit bloßen Händen auf der geschwollenen Wunde herum. «Das ist bloß eine oberflächliche Verletzung.»
«Bitte geben Sie mir etwas gegen die Schmerzen.»
«Was geben Sie mir dafür?»
«Schauen Sie in meine Hosentasche.»
Die Schwester durchstöbert alle Taschen, bis sie eine Rolle mit kleinen Schillingscheinen findet; mit blutigen Fingern zählt sie das Geld und steckt sich alles in den Rockbund. «Ich bringe Ihnen was», sagt sie leise.
Wenn sie schon die Lebenden so behandeln, wie gehen sie dann wohl erst mit den Toten in der Leichenhalle um?, denkt Filsan. Haben gierige Hände bereits Robles Kleidung durchsucht? Werden sie die Armbanduhr stehlen, auf die er so stolz war, oder ihm den Silberzahn aus dem Mund reißen? Die Gewissheit verursacht ihr Übelkeit. Es gibt nichts, womit sie ihren Körper bedecken könnte, also versucht sie, ihre Hose wieder hochzuziehen, sinkt aber zurück, lieber entblößt sie ihr ungepflegtes Haarbüschel, als die Schmerzen ertragen zu müssen, die sich korkenzieherartig in ihr Becken bohren.
Ein
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