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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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abmüht, die noch an den Ästen reifen. Heute liegt nur eine Mango aufgeplatzt im Unkraut, über das orangefarbene Fleisch wimmeln schwarze Ameisen.
    Unterm Baum hält sie Ausschau nach Schlangen im Laub. Einmal hat sie beim Hochklettern versehentlich eine schlafende grüne Schlange gepackt, die unvermittelt das Maul aufriss, ihr starr und weiß ins Gesicht gähnte, worauf Deqo augenblicklich vom Baum fiel. Sie spuckt in die Hände und umklammert den schlanken Ast, oben hängt ein Büschel Mangos mit hübschen rötlichen Flecken, pflückreif. Sie klammert sich mit den Händen fest, während ihre Zehen am glatten Stamm abrutschen. Bevor sie den Halt verliert, hascht sie nach dem Zweig, an dem die Mangos hängen, und pflückt sie nacheinander, lässt die Früchte vorsichtig zu Boden fallen, schiebt sich wieder zurück zum Stamm und rutscht hinunter, genießt das Gefühl der Rinde auf der Haut. Sie sammelt die Mangos in ihrem feuchten Rock und läuft davon, bevor Murayo ihre Pflanzen wässern kommt. Das nächste Feldstück ist größer, von dichten Bananenbäumen beherrscht, manche sind so beladen, dass ihr die Früchte ins Gesicht baumeln. Sie schnappt sich sechs, mehr kann sie in ihrem Rock nicht tragen, und geht in die Stadt zurück.
    Auf dem Fakirmarkt zieht Deqo ihr Kartonstück, auf dem immer noch ein Fitzelchen Werbung klebt, aus dem Stapel auf dem Boden heraus und legt ihre Ware in zwei Reihen zu je sechs Stück aus, immer abwechselnd Bananen und Mangos. Sie hat Verschiedenes ausprobiert:
Khat-
Blätter aufsammeln und an Dealer weiterverkaufen, Gras rupfen und als Ziegenfutter an Hausfrauen verkaufen, am Abend den Hauptmarkt fegen, wenn nicht genügend andere Mädchen da sind, aber das hier macht sie am liebsten. Der Arbeitstag ist früh zu Ende, und kein Boss sagt ihr, was sie zu tun hat, und an den Tagen, an denen keine Kundschaft kommt, kann sie das geklaute Obst selbst essen.
    Die anderen Verkäufer sind hauptsächlich Frauen mittleren Alters mit kräftigen Armen und Füßen, deren Fleisch über die Sandalenränder quillt. Die Einzige, die immer nett zu ihr ist, Qamar, ist heute nicht da, also hockt sich Deqo gleich auf die Fersen und wartet auf Kunden. Die kommen nur zögerlich, stöbern erst an anderen Ständen, bevor sie zu dem Schluss kommen, dass sie aus ihr den günstigsten Preis herausschlagen können. Sie beobachtet die anderen Verkäuferinnen beim Feilschenund ahmt ihre ungeduldigen Gesten und ihre derbe Sprache nach. «Wenn du nichts willst, dann nimm deinen Schatten von meiner Ware!», schreit sie. «Du stehst anderen, die mehr Fusseln in der Tasche haben, im Weg.» Ihre Miene ist unbewegt, mag sie noch winzig und klapperdürr sein und Zweige in ihrem Haar stecken haben.
    Die Bananen gehen zuerst weg, an eine Frau, die ein Kleinkind auf dem Rücken trägt, und dann die Mangos, einzeln oder paarweise. Zufrieden hält Deqo das Geld in der Hand, heute gibt es kein Theater, kein Dieb wird übergriffig, kein Streit bricht aus. Sie hasst die Tage, an denen kreischende Frauen auf der Suche nach diesem oder jenem schwerfällig über ihr Fleckchen trampeln.
    Sie steht auf und schüttelt den Staub vom Karton.
    «Yaari
, Kleine, komm mal kurz her», ruft eine Frau mit blauem, von Goldfäden durchzogenem Turban.
    Deqo geht zu ihr hinüber, steht mit versteinertem Gesicht da, die Hände auf den Hüften.
    «Ich gebe dir ein paar Schilling, wenn du jemandem was bringst.»
    «Wie viel?»
    «Zwanzig?»
    «Vierzig.»
    «Dreißig.»
    «Gut», Deqo lächelt triumphierend. «Was soll ich hinbringen?»
    Die Frau greift hinter sich und holt ein Päckchen hervor, das in den hellblauen Druck des
October Star
gewickelt ist.
    Deqo greift mit beiden Händen danach und kann die Form einer Glasflasche ertasten.
    «Lass das Päckchen bloß nicht fallen und wage ja nicht, es aufzumachen. Die Person, die darauf wartet, heißt China – du gibst es ihr und sonst niemandem. Wenn dir die Bullen zu nahe kommen, wirfst du es einfach weg, hörst du?»
    Fasziniert nickt Deqo.
    «Halte es so!» Der Oberarm der Frau schwabbelt, als sie das Päckchen unter Deqos Arm in eine aufrechte Position bugsiert. «Drück es an dich, fest, ganz fest.» Der Vorgang hat der Marktfrau Schweißperlenauf die Stirn getrieben. «Geh, verhalte dich unauffällig und halte in der Straße, die dort hinten rechts abgeht, nach einem blauen Haus Ausschau.»
    Die Gegend, auf die sie zeigt, gehört zu jenem Teil der Stadt, in den sich Deqo bisher nicht getraut hat.

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