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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Klinik und Waisenhaus, schwanger mit Setzlingen, die nie wachsen würden, einzig mit Tränen gewässert. Anab wühlte mit den Händen in der Erde, als wollte sie ihre Mutter ausgraben oder sich selbst begraben. Schließlich wurde sie müde und legte sich wie erschlagen mit dem Gesicht nach unten auf das Grab. Da warDeqo neben sie getreten und hatte die Hand ausgestreckt; Anab hatte sie mit blutenden Fingern ergriffen und war mit ihr den Hügel zum Waisenhaus hinuntergegangen.
    Von diesem Tag an übernahm Deqo für Anab die Verantwortung, schlief und aß neben ihr in dem großen Zelt, in dem zweiundfünfzig Waisen und Straßenkinder untergebracht waren. Jeden Tag aßen sie
canjeero
, gesäuertes Fladenbrot, zum Frühstück, spielten neben dem Steigrohr, wo die Erde feucht und formbar war, folgten Trauerzügen zum Friedhof, hielten ein Nachmittagsschläfchen und spielten mit Lehmstückchen
shax
, das uralte Brettspiel, ehe unweigerlich Reis und Bohnen das Abendessen bildeten und anschließend Nachtruhe herrschte. Wenn sie im Dunkeln flüsternd und kichernd nebeneinanderlagen, nannte Anab sie Deqo-wareego Hirsi Mattan; sie waren neu entdeckte Schwestern, die wie Blätter im Sturm zufällig nebeneinandergewirbelt worden waren.
    Die unzähligen Gebäude, deren Namen und Zweck Deqo allmählich kennenlernt, tauchen am Rand ihres Blickfelds auf, als sie auf die Straße voller Schlaglöcher tritt. Die Bibliothek, in der Lehrbücher aufbewahrt werden, das Museum der interessanten Gegenstände aus der Vergangenheit, die Schulen, wo man Kinder einpfercht und zähmt, die Hotels für Reisende mit Geld in der Tasche – die Existenz all dieser Gebäude erfreut sie, trotz der Gewissheit, dass sie als Flüchtling dort nicht willkommen ist.
    In den Wochen seit ihrer Ankunft in Hargeisa hat Deqo jeden Tag etwas dazugelernt, einfach indem sie das Leben um sich herum beobachtet hat. In den ersten paar Tagen übernachtete sie auf dem Markt, vom elektrischen Licht und den Kinderstimmen angelockt, kauerte sich unter den Ständen mit ein paar Mädchen und vielen Jungs zusammen, die sich unentwegt stritten und an Tütchen schnüffelten, von denen sie tropfende Nasen bekamen. Sie haute von dort ab und fand vor einem Lagerhaus etwas Schlaf auf einer betonierten, sauber gefegten Fläche, die höher lag als der Staub der Straße, bis eines Nachts ein Rudel kurzhaariger Straßenhunde sie knurrend und bellend aufstöberte und sie dasGesicht in den Händen verbarg. Der Wachmann wurde aufmerksam, scheuchte die Tiere davon und jagte auch sie weg. Danach verbrachte sie eine Woche vor dem Polizeirevier in der Hoffnung auf Schutz vor Jungen und streunenden Hunden, stattdessen herrschte Unruhe, Polizeiautos fuhren vor, Fußpatrouillen tauchten auf und Militärfahrzeuge rasten die Straße auf und ab. Schließlich zog es sie immer mehr zum Graben, dessen Dickicht und Abgeschiedenheit lockten. Dort fühlt sie sich beim Schlafen sehr wohl, furchtlos und unbehelligt in der tiefen Dunkelheit, es sei denn, es regnet, und die Kälte kriecht ihr in die Knochen.
    Deqo erreicht den Graben und biegt bei dem Gebüsch mit den roten Beeren ab, das den Pfad zu ihrer Tonne markiert, flitzt den Abhang hinunter und bremst erst stolpernd ab, als diese in Sicht kommt. Die Tonne ist ein geheimnisvoller Zufluchtsort, der sie nachts verschluckt; Deqo weiß nicht, wer den Behälter hierhergebracht hat, hat ihn nur durch Zufall in einer mondhellen Nacht gefunden. Mit der Hand schöpft sie etwas von dem Regenwasser, das sie in der vergangenen Nacht so geplagt hat, und löscht ihren Durst; es hinterlässt einen schwachen Petroleumgeschmack. Das restliche Wasser gießt sie sich über Kopf und Körper, wringt ihr dünnes Hängerkleidchen aus. Es wird trocknen, während sie auf den Höfen Früchte aufsammelt.
    Sie hastet zu Murayos Stück Land, das in der Nähe des trockenen Wasserbetts abseits des Straßenlärms liegt und wo sich schwatzend ein Vogelschwarm niedergelassen hat, die Nester wie schlecht geflochtene Weidenkörbe. Als sie näher kommt, fliegen die Vögel schimpfend auf, als wollten sie Murayo warnen. Es hängt von Murayos Stimmung ab, ob sie ihr erlaubt, Früchte aufzulesen, aber seit Deqo sie auf den Einbrecher aufmerksam gemacht hat, der auf dem Dach ihres Lehmhauses kauerte, ist sie großzügig gewesen. Sie lässt den Blick über den Boden wandern, sucht nach den matschigen überreifen Mangos, die sie selbst essen kann, bevor sie sich mit den harten grünen Früchten

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