Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
aber ganz gleich, wie fest sie das Ohr auch gegen die Wand presst, sie bekommt von dem Gespräch nichts mit. Sie geht zurück in die Küche, nimmt sich vor, nicht so misstrauisch zu sein. Nasra wird nicht zulassen, dass ihr jemand wehtut.
Das neue Jahr bringt neue Kunden – Soldaten, und das nicht zu knapp; der Mann, der über die Mauer geklettert ist, kommt fast jede Nacht und bringt seine Kameraden mit. Das Haus der Frauen ist ein Haus der Männer geworden, und selbst Stalin wirkt demütig. Von der Ausgangssperre nicht betroffen, kommen die Männer gegen Mitternacht und gehen vor Tagesanbruch, da versinkt der Bungalow bereits im Chaos, überall stehen Tassen und Gläser herum, in der Küche liegen zerbrochene Teller, Zigarettenkippen und leere Flaschen übersäen den Hof, Wäsche ist von der Leine gezerrt worden, und die Männer haben darauf herumgetrampelt, auf dem Toilettenboden schwappt Urin.
Erschöpft verschlafen die Frauen den Tag, während Deqo sauber macht. Aus Angst vor den Soldaten bleiben die alten Kunden weg, deren Ordentlichkeit sie vermisst. Schlafen fällt schwer, wenn die ganze Nacht hindurch Musik spielt und Füße dicht neben ihrem Kopf vorbeigehen, aber es sind die Stimmen, die sie wirklich stören: Warum müssen Männer so laut sein? Sie brüllen, statt zu reden, und lachen, als müsste die ganze Welt ihr Gelächter hören. Deqo hält sich die Ohren zu, während sie prahlen, dass ihnen die Stadt gehört, dass sie tun und lassen können, was sie wollen, und keiner sie daran hindert, und wie um es zu beweisen, rennt gern einer der jungen Rekruten, die gerade eingezogen worden sind, in die Küche, hebt ihren Rock und flüchtet unter dem Gejohle der anderen wieder. Jede Woche verkünden die Männer, Flugzeuge und Artillerie und Bulldozer seien auf dem Weg nach Hargeisa, aber Deqo sieht davon nichts. Das Küken, das wegen seiner honigfarbenen Federn den Namen Malab bekommen hat, wird ebenfalls bedroht, von einem jungen, eigenartigen Soldaten mit glatt rasiertem Schädel, der versucht, das Tier zu zertreten, wenn es die sichere Küche verlässt.
Die Anwesenheit der Soldaten hat die Nachbarn noch feindseliger werden lassen, und die Vordertür ist mit Ziegenscheiße gesprenkelt. Nachdem Stalin von einigen der hiesigen Frauen gestellt und mit Besen verprügelt worden ist, verhüllt sich Deqo, wenn sie auf den Markt geht. Die Frauen sind wütend, weil ihnen die Männer und Söhne genommen worden sind; einige von ihnen waren zum Bungalow gekommen undhatten Nasra angefleht, sie solle von den Soldaten herausbekommen, wo sich ihre Liebsten befinden. Sie hatte sich geweigert. Eigentlich hätten die Frauen es auf Nasra abgesehen gehabt, sagte Stalin, als sie humpelnd und mit Prellungen übersät ins Haus getaumelt kam, aber den Nachbarinnen war jede recht, um ihnen allen eine Warnung zukommen zu lassen.
Als die Trockenzeit vorbei ist, packt Karl Marx einen Koffer und verschwindet eines Nachts, ohne sich von irgendjemandem zu verabschieden. Gedrückt bleiben Nasra, China und Stalin zurück; sie holen sich aus Karl Marx’ Zimmer, was ihnen gefällt, und schauspielern weiterhin für die Soldaten, lachen trocken über deren Witze und führen mit ihnen seltsame Tänze im dunklen Hof auf.
Nasra hat glasige Augen und trinkt aus Chinas Flaschen; sie sieht durch Deqo hindurch, wenn sie mit ihr spricht, undeutlich und zusammenhanglos. Trotz des Geldes, das sie von den Soldaten einstreicht, hat sie abgenommen. Warum sie nicht ein paar der Männer wegschicke, fragt Deqo, wenn sie von ihnen so aus der Fassung gebracht wird, aber Nasra schiebt sie weg und sagt, Deqo solle sie in Ruhe lassen.
Die Monate vergehen, es wird wärmer, aber nur wenig Regen fällt; der einzige Baum im Hof ist vertrocknet, und selbst die Plastikranke, mit der Nasra ihn geschmückt hat, ist brüchig und ausgeblichen. Einzig Malab gedeiht im Bungalow und wird fett von den Körnern, mit denen Deqo sie füttert; alle sind müde und schwach. Keine der Frauen kocht mehr; es gibt nur Brot, Obst und Kekse, und Deqo fühlt nur Knochen, wenn sie ihr Handgelenk umfasst.
Auf dem Weg zum Souk kommt sie an Kindern vorbei, die als Strafe für irgendein Vergehen vor ihren Behausungen mit dem Fuß an eine Tonne oder einen Pflock gefesselt sind. Stundenlang stehen sie da, starren Deqo aus leeren Augen an und reiben sich über die Stellen, wo man sie ausgepeitscht oder geschlagen hat. Alle sind wütend – selbst der Himmel ist grau und unbewegt; es scheint
Weitere Kostenlose Bücher