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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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nur noch Platz zu geben für Schweigen und Gehorsam. Am Ende der Straße wird ein neuer Checkpoint errichtet; einige der Soldaten kennt Deqo von den nächtlichen Besuchen. Sie wird schnell durchgelassen, die anderen hingegen werdenangehalten und durchsucht. Der Markt ist verwaist, und jedes Mal, wenn sie dorthin geht, werden die Waren zu höheren Preisen verkauft. Viele der Händler kommen gar nicht mehr, und wo ihre Stände waren, bleiben große dunkle Flächen zurück. Der Tierverkäufer hat sich samt Schildkröte und Kitz verzogen.
    Deqo spürt, wie sie in die Vergangenheit zurückgleitet. Die Erinnerungen an die lebende Anab werden von Bildern der toten Anab weggespült – wie die Stille von ihren Schreien durchbohrt wurde, wie heiß ihre Haut war und dann wie kalt, nachdem die Cholera sie ausgesaugt hatte. Was hatte dazu geführt, dass das Leben aus Anabs Körper gesogen wurde, aber nicht aus Deqos Körper? Hatte sich die Freundin einfach so sehr nach ihrer Mutter gesehnt, dass sie ihren kleinen Puppenkörper zurückließ und von der Erde verschwand?
    Deqo, in der Hand ein Einkaufsnetz mit Papayas und Orangen, öffnet die Hoftür und sieht im Korridor einen großen rosa Koffer stehen. Die Tür zu Nasras Zimmer ist angelehnt, und sie linst durch den Spalt. Der Boden ist mit Kleidern und Schuhe übersät, und Nasra wühlt panisch in dem Haufen herum und stopft eine Reisetasche voll.
    Deqo geht weiter in die Küche, ehe Nasra sie anschreien kann. Aufgeregt huscht Malab um ihre Beine herum, pickt nach ihren nackten Zehen; sie ist fast ausgewachsen, und ihr scharfer Schnabel tut weh. Deqo schubst das Huhn weg und schält sich eine Orange, als Nasra nach ihr ruft.
    Der Alte mit der Sonnenbrille raucht hinter der Tür und Nasra steht schwarz gekleidet im Zimmer. Sie streckt die Arme aus und winkt Deqo heran.
    «Kleine, ich muss für eine Weile weg. Ich muss nach Äthiopien, muss dort eine neue Arbeit suchen, aber du bist nicht allein, Mustafa kümmert sich um dich. Tu, was er sagt, o.k.? Er wird auf dich aufpassen.»
    «Kann ich nicht mitkommen?» Deqo streckt die Arme nach ihr aus.
    Nasra schiebt die Hände des Mädchens weg. «Nein, zu viel Scherereienfür mich. Du bleibst da, du kannst mein Zimmer und alle meine Sachen haben, solange ich weg bin.» Sie sieht Deqo nicht in die Augen, stattdessen schweift ihr Blick von einer Ecke in die andere, und als sie Kleidungsstücke vom Bett in ihren Schrank wirft, zittern ihre Hände leicht. «Das wird schon, Deqo. Mustafa ist ein netter Mann», sagt sie, aber ihre Stimme klingt nicht überzeugend.
    Stumm sieht Deqo zu, wie Nasra durch das Zimmer geht, Papiere und irgendwelche Dinge in die Handtasche stopft, roten Nagellack, eine Pinzette, einen Kamm.
    Vor dem Bungalow hupt ein Auto.
    «Aber Nasra, –»
    «Nichts aber! Ich muss los, hör auf, herumzuquengeln.» Die junge Frau wirft sich ein Tuch über Kopf und hastet in den Korridor, zerrt mit beiden Händen den schweren Koffer über den Boden, erreicht die Hoftür und knallt sie hinter sich zu.
    Deqo wendet ihre Aufmerksamkeit Mustafa zu. Er zieht die Augenbrauen hoch. «Lass sie gehen, wozu brauchst du sie denn?»
    «Wann kommt sie zurück?», fragt Deqo und kämpft mit den Tränen.
    «Komm, setz dich zu mir.» Er drückt seine Zigarette in einem schmutzigen Teller aus, legt den Arm um sie und führt sie zum Bett. «Du bist aber gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Jaja, so ist das mit kleinen Mädchen, die verändern sich täglich.»
    Deqo schüttelt seinen Arm ab, aber er packt sie am Kleid und zieht sie neben sich. «Na, jetzt hab nicht so. Wir können es im Guten versuchen, oder du kannst dich wehren und das Ganze schlimmer machen als nötig.»
    «Ich will nicht. Lass mich los!», schreit sie und windet sich.
    «Deqo!»
    Beim Klang ihres Namens aus seinem Mund sträubt sich alles in ihr.
    «Wenn du willst, kannst du ihr beim Wegfahren zusehen.» Er zeigt mit der einen Hand zum Fenster, während er mit der anderen immer noch ihr Kleid gepackt hält.
    Deqo krabbelt über das Bett und sieht Nasra, die um den Kofferraumdes weißen Wagens herum zur Beifahrertür eilt. Sie verschwindet hinter den getönten Scheiben, der Motor heult auf und unter Schlagzeug- und Saxofongetöse aus der Musikanlage verschwindet sie.
    Mustafa lässt sie los, lehnt sich zurück und stützt sich mit den Armen aufs Bett. «Ich werde gut auf dich aufpassen, besser, als sie das je getan hat.»
    Deqo stützt das Gesicht in die Hände,

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