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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und die Tränen tropfen ihr in die Handflächen. Sie spürt, wie ihre Kraft aus ihr herausrinnt und in dem weichen, zerwühlten Bett versickert. Mustafas Anwesenheit legt sich auf sie; sein Atem, seine Körperfülle, seine stumme Drohung.
    Sie nimmt die Hände von den Augen und schätzt die Entfernung zur Tür ein. Sie hat die Beine untergeschlagen, seine baumeln über dem Bettrand.
    «Was hat Nasra dir denn über ihre Arbeit erzählt?», fragt er und kratzt sich über die Bartstoppeln.
    Deqo schüttelt den Kopf und schweigt.
    «Jetzt guck nicht so, als ob deine Welt eingestürzt wär, brave Mädchen wie du sind normalerweise sehr beliebt, du wirst gut verdienen.»
    Ehe Mustafa zu Ende gesprochen hat, macht Deqo einen Satz zur Tür, aber er erwischt sie beim Fußgelenk und bringt sie zu Fall.
    Als sie schreit, legt er ihr die Hand auf den Mund; seine Finger schmecken nach Tabak und
Ghee
. Deqo beißt, bis sie Blut schmeckt, er reißt die Hand weg und versetzt ihr einen Faustschlag auf den Mund.
    «China! Stalin!», schreit sie.
    «Die werden dir nicht helfen!», grinst er höhnisch.
    Er reißt ihren Rock hoch; sie trägt keine Unterhose, denn sie hat an diesem Morgen die beiden, die sie besitzt, gewaschen.
    Auf dem Boden entdeckt sie einen schwarzen, hochhackigen Schuh und greift danach, während er versucht, ihre Beine auseinanderzuzwingen. Es trifft ihn völlig unvorbereitet, als sie ihm den Absatz ins Auge bohrt. Der Schmerz wirft ihn nach hinten.
    Blindlings rennt sie auf die Straße, in ihren Schläfen hämmert der Puls. Instinktiv wendet sie sich Richtung Markt, rast am ersten Checkpoint vorbei und hinein in das dichte Kaufgewimmel. Sie umkurvt diePassanten, boxt sich durch, bis ein quer stehender Pritschenwagen ihren Lauf bremst.
    Beim Anblick dreier Leichen auf der Ladefläche des Fahrzeugs ist die Menge wie versteinert: Drei alte Männer in rot karieren Sarongs, auf deren weißen Hemden die Blutflecken wie Lätzchen wirken, sie tragen Sandalen aus Kamelleder an den Füßen, neben einem von ihnen liegt der
hangol
-Stab der Nomaden. Jedem Mann hängt ein Schild um den Hals, auf dem mit roter Tinte «NFM» steht. Die um die Leichen sitzenden Soldaten sehen wie Jäger aus, die mit den Tieren posieren, die sie erlegt haben, auf den Gesichtern liegt der Ausdruck leichter Verlegenheit angesichts der verhutzelten, zahnlosen Exemplare, die sie erwischt haben. Einer von ihnen schiebt mit seinem staubigen Stiefel den Kopf der Leiche, die neben ihm liegt, zurecht.
    Keiner sagt etwas, weder die Soldaten noch die Zuschauer; es ist eine stumme Lektion; das einzige Geräusch stammt von dem über dem Lastwagen schwebenden Fliegentornado. Die Hitze wirkt sich bereits auf die Leichen aus; das Leben ist aus den Gesichtern gewichen, nur noch schlaffe Haut, die die Knochen bedeckt.

Kawsar
    I nnerhalb der grünen Krankenhausmauern häufen sich die Ärgernisse – die tollpatschige Putzfrau, die ihren schweren Metalleimer auf den Betonboden knallen lässt, die Schwestern, die dauernd miteinander im Clinch liegen und nie kommen, wenn man sie ruft, und die in Selbstmitleid zerfließende Amputierte, die ständig nach ihnen verlangt. Das Dauerzwitschern winziger
Yaryaro-
Vögel verrät Kawsar, dass vor dem Fenster ein
miri-miri
-Baum steht; der Krawall der Tschiek-tschiek-tschiek-Rufe, das Flügelgeraschel sind schwindelerregend – als trippelten ihr Mäuse durch den Kopf –, sie hofft, dass die lärmenden Vögel den Baum verlassen und die Samen woanders fressen. In ihrem Aluminiumbett, dessen stinkende Matratze so dünn ist, dass sie die Streben des Gestells spürt, zieht sich Kawsar die Nylondecke über den Kopf und versteckt sich vor den Besuchern, die durch die Station trampeln. Sie konzentriert sich darauf, dem Schmerz zu trotzen, der sie einhüllt und der so viele Facetten hat: Ein schriller, pulsierender elektrischer Reiz legt sich über etwas Schwelendes, Dumpfes – ähnlich dem Gefühl, das sie nach der Entbindung hatte, als wären ihre Knochen, ihr Fleisch zermalmt worden. Sie kann sich nicht aufsetzen, nicht strecken oder umdrehen, nicht einmal die Position verändern, ohne dass es peinigend in ihren Nerven zuckt. Kawsar versucht, sich mit zusammengebissenen Zähnen, angehaltenem Atem und verhärteten Halssehnen gegen die nächste Schmerzwelle zu wappnen.
    «Gebrochene Hüfte. Gebrochenes Becken», verkündet der Arzt, aber sie traut ihm nicht, er hat keine drei Minuten für ihre Untersuchung gebraucht, sein Blick ist

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