Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
schmuddeligen Spielkleidern beobachten das Spektakel mit einem fragenden Ausdruck auf den Gesichtern.
«Einfach hier rein.» Maryam schlägt gegen das Metalltor. Kawsar erwartet Dahabo, aber eine Fremde öffnet die Tür, ein junges Mädchen in Männerkleidern.
«Lass uns durch», befiehlt Maryam.
Als Kawsar an dem Mädchen vorbeigetragen wird, treffen sich ihre Blicke, beide voller Misstrauen.
Sie wird durch den Flur in den Wohnraum gebracht, der eigenartig riecht – eine beißende Mischung aus Süßigkeiten und billigem Parfüm –, und mit einem sanften Plumps auf das Bett fallengelassen.
Der Wohnraum ist ganz dunkles, durchsichtiges Blau. Am Ende eines Mondstrahls schläft das Mädchen unter einem dünnen Laken auf dem Boden. Leise hebt sich ihr Brustkorb, ein kleines, anrührendes Zittern belebter Luft. Seit Hodans Tod hat niemand mehr mit ihr unter diesem Dach übernachtet.
Kawsars Pulsschlag beschleunigt sich. Sie freut sich, dass jemand da ist, den sie beobachten, im Hintergrund hören kann; sie wird dieses Haus, das sie so lang allein bewohnt hat, mit jemandem teilen.
Am nächsten Morgen weckt das Mädchen Kawsar, indem sie ihr mit einem nassen Tuch über Gesicht und Hals fährt.
«Was machst du da?», stottert Kawsar.
«Man hat mir gesagt, ich soll dich waschen.»
«Bist du ein Bestatter, der mich für das Begräbnis vorbereitet? Kannst du nicht warten, bis ich wach bin?»
«Ich dachte, das spart Zeit.»
«Das ist nicht die Art und Weise, wie man Zeit spart.» Kawsar reißt ihr das Tuch aus der Hand. «Wie heißt du, und wer bist du eigentlich?»
«Nurto, ich bin eine Cousine von Maryam. Ich kümmere mich jetzt um dich.»
Sie ist ein großes Mädchen, das nur aus Armen und Beinen besteht; auf dem dünnen Hals sitzt ein scharfgeschnittenes, streitlustiges Gesicht.
«Du bleibst nur dann, wenn ich mit deiner Arbeit zufrieden bin.»
«Was soll ich dann jetzt machen?»
«Geh auf den Markt, es ist nichts zu essen im Haus.»
Nurto verschwindet in Richtung Souk und bleibt stundenlang weg.
Ein seltsamer Gedanke, dass es Nurto ist, die sie eines Tages leblos auffinden wird. Was wird sie tun – schreien, ein Gebet sprechen oder schnell ein Laken über den reglosen Körper mit den offenen Augen werfen? Kawsar muss über diese Vorstellung lachen – die perfekte Rache der Alten an der gedankenlosen Jugend.
Ein lauter Knall verkündet Nurtos Rückkehr, und Kawsar hört, wie das Mädchen am Wohnraum vorbei direkt zur Küche geht und dort den Inhalt des Korbes in Kisten verteilt. Später stößt sie die Tür mit dem Fuß auf, die dünnen Beine in schwarzen Cordhosen, und kommt mit einem Tablett herein.
Mit dem Einkaufsgeld hat sie gekauft, wonach es sie selbst gelüstet, Gebäck, Halwa, Kekse, und präsentiert die Auswahl mit großer Geste auf dem Tablett, als ob Kawsar diese Dinge tatsächlich haben wollte.
Es klopft, und Nurto eilt zur Tür. Maryam steckt den Kopf herein. Sie küsst Kawsar auf die Wangen und fühlt ihr die Stirn.
«Wie benimmt sich Nurto?»
«Alles in Ordnung», sagt Kawsar kurz angebunden. «Setz dich.»
«Ich kann jetzt nicht bleiben. Ich wollte dir nur das hier geben.» Sie zieht aus ihrer Handtasche aus Alligatorleder ein Päckchen. Ihre Mutter hat aus dem Londoner East End starke Schmerzmittel geschickt, und langsam und sorgfältig übersetzt Maryam Kawsar die Packungsbeilage, kämpft mit den somalischen Wörtern für «hypertension», «water retention» und ähnliche Ausdrücke. Sobald sie zu Nurto in die Küche gegangen ist, nimmt Kawsar sechs der Tabletten und wartet darauf, dass sich das Schmerzkorsett etwas lockert.
Im Nachmittagslicht wirkt der Raum wie ein Anstaltszimmer, er besitzt lediglich ein schmales Eisenbett, einen Metallstuhl, eine nackte Glühbirne und zwei große Schränke voller Kleider, die sie nie getragen hat und nun auch nie mehr tragen wird. Über dem Bett hängt der Wandschmuck: die schönen, abstrakt gemusterten Stoffe, die sie selbst gewoben hat, Strohbehänge, die sie in Juba gekauft hat, das Hochzeitsfoto in einem Rahmen, den sie in den Farben der somalischen Flagge mit Mondsicheln und explodierenden Sternen bemalt hat. Eine silberne Halskette, mit vielen Münzen und Bernsteinperlen, angefertigt für ihren Hochzeitstag von ihrem Großvater, dem Juwelier, ist der einzige Prunk, den sie zur Schau zu stellen wagt – hoffentlich zu altmodisch für die Polizisten, die bei ihren Razzien in Privathäusern gleich für ihre Frauen und Töchter
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