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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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hierherverlegt hat. Kawsar hat in dem niedrigen Hauptgebäude gelegen, einem Überbleibsel aus britischer Zeit; die Entbindungsstation und andere kleine Stationen sind rundherum angeordnet, und hinter einem hohen Stacheldrahtzaun liegt die psychosoziale Einrichtung. Die Leichenhalle ist neueren Datums, erbaut, um die Opfer der äthiopischen Bombardierungen unterzubringen. Das Krankenhaus zerfällt, die Wände sind rissig, der Putz bröckelt, Kletterpflanzen ranken sich durch die Fenster.
    Beim Haupteingang hält sie ein Krankenpfleger im Kakioverall an. «Sie dürfen die Trage nicht nach draußen schieben», sagt er und umklammert des Gestänge oberhalb von Kawsars Kopf.
    «Wir bringen sie bloß zum Auto, sie kann nicht gehen», wendet Maryam ein und versucht, die Trage mit sich zu ziehen.
    «Du sollst das Ding hierlassen, hast du denn keine Ohren?»
    «Das hat man davon, wenn man einen Esel in eine Uniform steckt!», schreit Maryam zurück.
    «Soll ich vielleicht die Polizei rufen? Denen kannst du ja dann deine Ansichten über Esel und Uniformen mitteilen.»
    «Zum Teufel mit dir.»
    «Bitte lass uns schnell gehen, Maryam», bittet Kawsar.
    «Ko, labah, sadeh
, eins, zwei, drei …» Maryam und Raage packen die Wolldecke, auf der sie liegt, und heben Kawsar hoch. Beide sind nicht besonders kräftig, beim Gehen entgleitet ihnen beinahe die Decke, aber sie halten durch, bis Kawsar sicher in den großen, schmutzigen Laderaum des roten Toyota bugsiert ist.
    Raage lässt den Motor an und fährt vom Krankenhausgelände. «Fahr so langsam wie möglich», weist Maryam ihn an.
    Kawsar hört nicht, ob Raage etwas erwidert; die Schmerzmittel haben ihre Sinne betäubt, eine wattige Distanz liegt zwischen ihr und dem Rest der Welt. Durch das staubverschmierte Rückfenster, über das sich Schlieren toter Fliegen ziehen, sieht sie auf die vorüberziehenden Bäume, die sich zu ihr herabbeugen und mit ihren grünen Fächern flattern.
    Kawsar scheint zu schweben, während das Auto in Schlaglöcher rumst und Gräben umfährt. «Wo sind wir?», fragt sie orientierungslos.
    «Fahren gerade am alten Women’s College vorbei, unserem College», lächelt Maryam und drückt ihr die Hand.
    «Ganz in der Nähe habe ich Farah zum ersten Mal getroffen …»
    «Was hast du gesagt?» Maryam beugt sich zu ihr herab, um besser hören zu können.
    «Nichts», antwortet Kawsar und schließt die Augen.
    Sie hatte Farah zum ersten Mal gesehen, als sie mit Dahabo von der Women’s Technical School nach Hause geschlendert war. Es war ein träger Tag in der Trockenzeit, die Mädchen alberten miteinander herum, während sie sich an den Händen hielten, und ihre Schatten hinter ihnen waren riesig und schwarz. Aus der psychiatrischen Anstalt war ein Geisteskranker ausgebrochen und überzog die Stadt mit seinem klebrigen Netz des Wahnsinns. Kawsar hatte ihn sich immer als Menschenspinne vorgestellt, die aus dem englischen Irrenhaus geklettert war, in das man sie gelockt hatte, und auf einem Treibholz zurück nach Somaliland segelte. Die Mädchen kamen an Telegrafenmasten vorbei, an denen seine Zahnabdrücke zu sehen waren, hundert weiße Schneidezähne eingeprägt in frischer schwarzer Farbe. Im College hatte Kawsar gehört, dass Teufelsstimmen den Irren durch die Telegrafendrähte verfolgten und sein Geist sich im Feuer ihrer Worte aufzehrte. Ein großer junger Polizist stand mit einem rothaarigen Engländer an der Kreuzung vor ihnen. Damals gab es in Hargeisa keine Hauptstraße, nur einen von Kamelkarawanen breitgetrampelten Pfad, und die Mädchen überquerten die Straße, damit die Männer ihnen nicht zu nahe kamen. Staub hing in der Luft, von der erschöpften Sonne gold undorangefarben beleuchtet, und als sie das Glitzern betrachtete, begegnete sie zufällig dem Blick des somalischen Polizisten
.
    «Wir sind da,
eddo
. Ich hole Hilfe aus dem Hotel.» Maryam kriecht aus dem Auto. Kurz darauf kommt sie mit einem Haufen Männer zurück, schwarz stehen ihre Silhouetten vor der Sonne, die Stimmen und Hände nicht unterscheidbar, nicht zählbar.
    Jeder packt ein Stück Decke, und einen Augenblick lang glaubt Kawsar, dies wäre ihr Begräbnis, dass die Männer sie in diese Decke wickeln, jeder eine Handvoll Sand auf sie werfen und man sie, fügsam und mit aufgerissenen Augen, begraben wird.
    «Hier entlang, hier entlang.» Maryam geht zu Kawsars Bungalow voraus. Durch einen Spalt zwischen den Männerkörpern zeigt sich ein Stück October Road: Kinder in

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