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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Lesebuch in der sechsten Klasse.
    «Das ist nicht das erste Mal, dass Sie in die Schlagzeilen kommen, Corporal. Wir haben hier einen
October Star
vom 19. März 1975, und darin ist ein Foto, auf dem Ihnen der Präsident eine Medaille verleiht. Womit haben Sie sich in so jungen Jahren schon eine Medaille verdient?» Er lacht.
    «Während der Alphabetisierungskampagne habe ich Landarbeiter in Dhusamareb unterrichtet, und meine Schüler schlossen beim Test besser ab als alle anderen im Bezirk.»
    «Und was für ein Gefühl war es, den Präsidenten zu treffen?»
    Filsan versucht, sich an diesen Moment zu erinnern, aber alles liegt im Nebel, unscharf festgehalten vom Fotoapparat ihres Vaters. Es ging wie am Fließband, sie hatte nur zehn Sekunden, dann schob ein Funktionär sie weiter, aber sie entsinnt sich, dass er bei der Begrüßung ihre Hände mit den seinen umfasste, ihr auf die Schulter klopfte und in die Augen sah. Er schien ehrlich stolz auf sie.
    «Es war der erhebendste Augenblick in meinem Leben.» Filsan zögert, wahrscheinlich klingt es übertrieben. «Da wusste ich, dass ich mein Leben der Revolution widmen würde.»
    «Hervorragend. Und Sie sind eine Frau, die zu ihrem Wort steht, denn vor Kurzem haben Sie an vorderster Front einen Aufstand niedergeschlagen, der die Sicherheit unseres Landes bedrohte. Können Sie uns mehr darüber erzählen?»
    Filsan holt tief Luft, sie muss sich einfach nur an das halten, was im Bericht steht. «Wir wurden nach Salahley geschickt, weil wir Zivilisten davon abbringen sollten, Terroristen Unterschlupf zu gewähren. Uns lagen Informationen vor, dass einige unbedarfte Einzelpersonen zu solchen Aktionen verleitet worden sind und äthiopischen Agenten materielle Hilfe zukommen lassen und ihnen Unterschlupf bieten.»
    «Dabei kam es zur Auseinandersetzung mit den Rebellen, stimmt das? In die Sie verwickelt waren?»
    «Äh …» Sie überlegt, wie viel sie preisgeben soll, trommelt mit den Fingernägeln auf den Tisch.
    Ali Dheere zeigt auf den Tisch und hebt warnend den Finger.
    Sie legt die Hände in den Schoß und beugt sich vor. «Wir wurden von drei Rebellen überfallen, die sich in dem Dorf versteckt hielten. Sie trugen Zivilkleidung, waren aber bewaffnet. Ich griff sie als Erste an, meine Kameraden kamen mir zur Hilfe und der Angriff wurde erfolgreich niedergeschlagen.»
    «Man sage nie, Frauen seien schwächer als Männer. Hier in Somalia haben wir sprungbereite Löwinnen, die uns verteidigen. Corporal Adan Ali, wir danken Ihnen für die Opfer, die Sie bringen, und fühlen uns geehrt, dass Sie in unserer Armee dienen. Genossen, lasst uns Augenund Ohren offen halten, damit junge Patrioten wie Corporal Adan Ali nicht unnötig Gefahren ausgesetzt sind.»
    Die ersten Takte einer politischen Hymne und eine Geste von Ali Dheere bedeuten ihr, dass sie entlassen ist.
    Filsan trabt die Treppe hinunter, vollführt beinahe einen Stepptanz, so aufgedreht ist sie. Das Interview war eine Art Hinterhalt, ein Fragenwirbel, dem sie sich gehorsam gefügt hat, aber das Bild, das Ali Dheere von ihr gezeichnet hat, gefällt ihr: heldenhaft, kriegerisch und distanziert, eine Einzelkämpferin, eine ätherische Riesin, ein Dschinn, der das Schwert vor der Brust umklammert. Ein Dschinn, der sich nicht plötzlich der Sandale des Mannes entsinnt, den er niedergestreckt hat, des schweißgefleckten Riemens unter dem schwieligen Fuß, des losen Lederflechtwerks über den Zehen. Filsan muss sich die Version der Ereignisse, die sie Ali Dheere erzählt hat, einhämmern, damit die Erinnerung an den tatsächlichen Vorgang nicht mehr aufblitzt. Auf der Rückfahrt nach Hargeisa hatte Lieutenant Afrah sie beruhigen wollen und gesagt, dass die Erinnerung an den Mann allmählich auf den Grund ihrer Gedanken herabsinken würde, begraben unter anderen Ereignissen und Sorgen. Filsan würde abwarten, bis es so weit war, aber zuerst musste sie wohl die Puzzleteile zusammensetzen: Warum kann sie sich nicht mehr daran erinnern, dass sie die Waffe abgefeuert hat? Was war in den Sekunden davor und danach passiert? In welches Loch war sie gefallen?
    Captain Yasin bastelt ein Flugzeug aus einem Blatt Papier und lässt es in Richtung von Filsans Schreibtisch fliegen. Es gleitet nur kurz durch die Luft und landet neben ihren Füßen; es ist ihr Versetzungsantrag mit dem Stempel «BEWILLIGT». Schon in sechs Wochen wird Filsan wieder in ihrem gelben Zimmer mit den Kirschvorhängen sein. Sie sehnt sich nach Intisaars

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