Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Soldatin.» Er zielt mit einer imaginären Pistole auf sie und tut, als drücke er ab.
Filsan verbirgt ihr Gesicht hinter einer Akte und murmelt etwas Unverständliches.
«Sie werden befördert, nachdem die jetzt gemerkt haben, wozu Sie imstande sind.»
Sie hebt den Kopf. «Tatsächlich?»
Captain Yasin lächelt. «Natürlich können die Sie auch wie ein preisgekröntes Kamel paradieren lassen, den ausländischen Journalisten vorführen, die ständig die Regierung kritisieren.»
«Sie wollen, dass ich im Radio spreche.»
«Da sehen Sie.» Yasin zündet sich die erste Zigarette des Tages an. «Als Nächstes werden Sie ins Büro von Brigadier-General Haaruun beordert, und Sie bekommen einen Stern auf Ihre Epauletten.»
Haaruuns Name lässt sie frösteln. Von ihm hat sie nichts Gutes zu erwarten. Lieber hierbleiben, unterhalb des Radars, als das Risiko einzugehen, noch mehr von ihm gedemütigt zu werden.
«Sie schulden mir mächtig was. Ich kann Sie mir gut als dritte Fraudes Präsidenten vorstellen, wie Sie ihm seine Phrasen um die Ohren hauen.» Er bricht über seinen eigenen Witz in schallendes Gelächter aus.
«Warum treten Sie eigentlich nicht im Fernsehen auf, Captain? Ihr Talent ist hier völlig verschwendet», sagt sie und schnappt schließlich doch nach dem Köder.
Filsan verzichtet auf das Mittagessen und trifft eine halbe Stunde zu früh bei Radio Hargeisa ein. Der Sender nimmt das ganze oberste Stockwerk des Gebäudes ein, das von den Briten, kurz bevor sie sich auf ihren Abzug vorbereiteten, erbaut worden war, und nun ist es eine Hargeisaer Institution, und die Sprecher sind den Bewohnern der Stadt so vertraut wie die eigene Verwandtschaft. Filsan wartet hinter einem Mikrofon, während Ali Dheere die Nachrichten liest: im Irak Tausende Tote nach einem Massaker in einem kurdischen Dorf, Sowjets berichten von der Aufrüstung der afghanischen Rebellen, Erzbischof Tutu nach Marsch mit zwei Dutzend kirchlichen Führern auf das Parlament in Kapstadt wieder freigelassen. Während sie den Nachrichten lauscht, empfindet Filsan einen kurzen Augenblick des Trostes. Auf der ganzen Welt brodeln Konflikte; im Vergleich zu dem, was im Irak und in Südafrika an der Tagesordnung ist, verblasst das, was sie in Salahley getan hat. Angeblich vergiftet Saddam Hussein die Kritiker seines Regimes, und die Afrikaander schleppen ihre Gegner in Steinbrüche und richten sie auf improvisierten elektrischen Stühlen hin.
«Heute Nachmittag begrüßen wir einen ganz besonderen Gast», legt Ali Dheere los. «Ein Mädchen aus Mogadischu, das seinem Land in der Armee dient, oder vielmehr eine bemerkenswerte junge Dame, die den üblichen Wunsch, eine eigene Familie zu gründen, hintangestellt hat …»
Filsan nimmt einen Schluck Wasser aus dem Glas vor ihr.
«… und ihr Land mit der Waffe verteidigt. Ihr Name ist Corporal Filsan Adan Ali, und sie ist die erste Frau, die seit dem Ogadenkrieg in eine kämpferische Auseinandersetzung mit dem Feind verwickelt war. Herzlich willkommen, Corporal Adan Ali.»
«Danke», sagt Filsan leise in das runde Mikrofon.
Ali Dheere bedeutet ihr, dass sie lauter sprechen muss. «Also, Corporal, woher kam Ihr Wunsch, Soldatin zu werden? Ist doch eher ein außergewöhnlicher Beruf für eine Frau.»
«Äh … ich … mein … Vater dient in der Armee, und ich wollte immer in seine Fußstapfen treten, das war wahrscheinlich der Hauptgrund.»
«Haa
… also eine Familientradition, die von Ihrem Vater an Sie weitergegeben wurde. Was sind in Ihren Augen die besonderen Herausforderungen für eine Frau in der Armee?»
Filsan denkt eine Minute lang nach, zensiert in Gedanken, was besser ungesagt bleibt.
Ali Dheere schraubt seine Hand in die Höhe, wie um sie anzutreiben.
«Es gibt wirklich keinen Unterschied. Wir durchlaufen das gleiche Training, tragen die gleiche Verantwortung, sehen uns den gleichen Gefahren gegenüber wie unsere männlichen Genossen. Es gibt keine Sonderbehandlung.»
«Aha, aber es gibt doch nach wie vor nur sehr wenige Frauen in der Armee, wenn ich das recht sehe. Warum?»
Automatisch spult Filsan nun die Lektionen ab, die man ihr seit der Grundschule eingetrichtert hat. «Die Revolution steckt immer noch in den Kinderschuhen, die Überwindung reaktionärer Traditionen, des Aberglaubens schreitet nur langsam voran. Der Genosse hat uns gezeigt, dass Männer und Frauen gleich sind und wir alle dazu beitragen können, unser Land voranzubringen.» Diese Worte stammen aus ihrem
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