Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Halbwüchsige in Sarongs und Westen,sie sind mit langen Stöcken bewaffnet und tragen Sandalen aus Gummireifen. Als Captain Yasin und Filsan zu ihnen hochklettern, erheben sie sich.
«Ist das eure gesamte Truppe?», fragt Captain Yasin.
Der Anführer ist groß und ausgemergelt, ein grünes Käppi verdeckt seine Augen. «Nein, wir sind mehr, aber die anderen kümmern sich um die Tiere, die ihnen noch geblieben sind.» Seine Stimme klingt sandig, trocken.
«Das ist Corporal Adan Ali, sie wird ebenfalls mit euch arbeiten.»
Die Burschen werfen einen kurzen Blick in Filsans Richtung.
«Bevor wir richtige Waffen verteilen, müssen wir wissen, wie viele ihr seid.»
«Wir werden uns zeigen, wenn wir unsere Waffen haben. Vorher nicht.» Der Anführer scharrt beim Sprechen Bilder in den Sand: gerade Linien, Sonnen, Berge, Kurven. «Wir warten darauf, dass ihr sagt, was ihr von uns wollt.»
Die Halbwüchsigen, die einander die Arme über die Schultern gelegt haben, betrachten Filsan mit freundlichem Interesse; sie haben die schlanken Glieder von Marathonläufern, sind aber in diesem Gefängnis aus Sand und Fels zusammengepfercht.
«Ihr müsst so viele Männer wie möglich organisieren. Drillt sie, damit ihr gemeinsam mit uns dieses Land zusammenhalten könnt», erwidert Captain Yasin.
«Das werden wir.» Der Anführer räuspert sich und spuckt auf sein Bild. «Was bekommen wir in der Zwischenzeit von euch? Und wann helft ihr uns, damit wir unser eigenes Land zurückbekommen?»
Die Halbwüchsigen beugen sich vor, wollen sich die Antwort keinesfalls entgehen lassen.
«Habt Geduld. Wir werden euch mehr Lebensmittel zukommen lassen, aber bis wir die nötige Ausrüstung erhalten, können wir wenig tun.»
Fragend sieht Filsan auf.
Geschlagen nickt der Anführer. «Wir werden einfach warten. Der Ogaden läuft nicht weg.»
«Innerhalb eines Monats bekommt ihr Waffen, Panzerfäuste, Transportmittel. Diese Frau wird dafür sorgen», er deutet auf Filsan.
Sie versteht nicht, was er meint. Warum sollten sie diesen Flüchtlingen Panzerfäuste geben, wenn Somalia doch bereits über eine der größten Armeen Afrikas verfügt? Was verspricht er diesen Männern, und warum? Ob er sie, Filsan, in Waffenschmuggel oder in eine Verschwörung verwickeln will? Was wohl ihr Vater sagen würde, wenn sie wegen einer derart schmutzigen Sache vors Kriegsgericht käme? Sie dreht auf dem Absatz um und verlässt die Versammlung, nimmt den Weg zurück zum Jeep. Kurz darauf ist Captain Yasin neben ihr, aber sie eilt weiter, ignoriert ihn.
«Was haben Sie denn?» Er hält sie am Arm fest.
«Lassen Sie mich los!» Sie reißt sich los, es ist ihr egal, dass er ihr Vorgesetzer ist.
«Warten Sie, Filsan! Was ist denn los?»
«Ich werde Sie melden! Sie können so viele Straftaten begehen, wie Sie wollen, aber mich werden Sie nicht mit hineinreißen.»
«Was für Straftaten?»
«Halten Sie mich doch nicht für blöd. Ich bin zwar eine Frau, aber so leicht lasse ich mich nicht zum Narren halten.»
«Wovon sprechen Sie?»
Filsan bleibt abrupt stehen und senkt die Stimme. «Sie verkaufen Waffen.»
Er krümmt sich vor Lachen. «Sie sind ja verrückt! Denen Waffen verkaufen? Und womit sollen die mich bezahlen?»
«Warum bekommen sie dann Panzerfäuste, die eigentlich für die Armee bestimmt sind?»
Er zieht sie zu sich heran. «Weil das die Regierung so will. Hier können wir nicht darüber reden.» Er nimmt wieder ihren Arm und begleitet sie bis zum Fahrzeug. «Steigen Sie in den Jeep», befiehlt er. «Ich kann Ihnen nicht alles erzählen, aber ich erzähle Ihnen, was ich weiß.»
Schweigend verlassen sie Saba’ad; erst als sie die lange, leere Straße nach Hargeisa erreichen, entspannt sich Captain Yasin und beginnt zureden. «Die Regierung hat beschlossen, dass die derzeitige Situation unhaltbar ist. Wenn das NFM weiterhin da ein Dorf, dort ein Bataillon angreift, ermutigt das andere Clanmilizen, und dann kämpfen wir demnächst an zwanzig Fronten.»
Noch nie hat Filsan ihn so ernst erlebt. Sie betrachtet sein kantiges Profil und fühlt das alte Begehren in sich aufsteigen.
«Sie – mitsamt der Führungsspitze in Mogadischu und Hargeisa – haben beschlossen, dass sich etwas ändern muss.»
«Was muss sich ändern?»
«Alldem muss ein Ende gemacht werden. Damit die Terroristen nicht immer mehr Landesteile besetzen können, muss die komplette Bevölkerung umgesiedelt werden.»
«Hargeisa evakuieren?»
«Alle Städte – Hargeisa,
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