Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Kochkunst, nach ihren knusprigen Lamm
-sambuusi
, diesen frittierten Teigtaschen mit Lammfleischfüllung, dem gegrillten Fisch, der mit gewürzten, süßen Vermicelli auf den Tisch kommt, und den scharfen, öligen, in grüne Chilisauce getauchten
bajiye
, frittierte Küchlein aus Augenbohnen. Intisaar, die tausend Schilling Lohn dieWoche bekommt, war ihr eine wunderbare Mutter gewesen, und während ihre eigenen Kinder von der Großmutter aufgezogen wurden, schuftete sie in der unheilvollen Atmosphäre des stillen Hauses. Filsan schreibt eine Liste, was sie Intisaar aus Hargeisa mitbringen möchte, Gegenstände, die bezeugen, dass sie die andere versteht und an sie gedacht hat – eine Silberkette oder sogar eine Goldkette, wenn sie es sich leisten kann, importierte Taarab-Schallplatten, Bandagen für ihre geschwollenen Knie. Letzteres käme vielleicht sogar am besten bei ihr an, jetzt da Intisaar ein gesetztes Alter erreicht hat, mit siebenundfünfzig trockne des Knochenmark allmählich ein, hatte sie in ihrem singenden
Bajuni
-Dialekt gesagt, und von dann an warte man nur noch darauf, dass einem die Knochen zu Staub zerbröselten. Wenn es nötig sein sollte, würde Filsan Intisaars Knochen sogar mit Schienen und Verbänden zusammenhalten! Wie viel schöner wäre Filsans Leben gewesen, wenn sie ihre Tochter gewesen wäre. Zusammengekuschelt mit ihren Geschwistern in einem
cariish
, einer Lehmhütte, schlafen, sich dabei in die Arme schmiegen, die gerade am nächsten sind, und den Geschmack der Liebe in der Muttermilch schmecken, wenn sie abends zu ihnen lächelnd nach Hause kommt.
«Ich habe Sie im Radio gehört. Ich wusste gar nicht, dass Sie den Präsidenten getroffen haben», Captain Yasins Stimme lässt sie zusammenzucken.
«Das ist lang her, woher hätten Sie es auch wissen sollen.»
Filsan öffnet das Fenster, damit der Rauch von Captain Yasins Zigaretten abziehen kann, steht kurz untätig da und sieht zu, wie der Wind vertrocknete Blätter in den Hof flattern lässt.
«Wollen Sie mit mir nach Saba’ad kommen?», fragt Captain Yasin. «Ich überprüfe, wie es dort in Sachen Miliz aussieht, vielleicht haben sich diesmal mehr als fünf Kandidaten zusammengefunden. Muss darüber einen Bericht schreiben.»
Ein Bericht, den letztendlich
ich
schreiben werde, denkt Filsan und sinkt auf ihren Stuhl.
«Kommen Sie, wird Ihnen guttun.»
«Was ist mit diesen Akten?»
«Die werden schon nicht weglaufen.» Yasin zieht sie vom Stuhl hoch. «Kommen Sie. Das ist ein Befehl.»
Filsan hinterlässt auf ihrem Schreibtisch eine Nachricht, wo man sie finden kann, und folgt ihm zum Jeep.
Saba’ad liegt zweiunddreißig Kilometer nordöstlich von Hargeisa. Das größte der fünf Flüchtlingslager im Nordwesten ist gewachsen und hat sich zu einer Art Satellitenstadt entwickelt, mit Ausmaßen, so weit das Auge reicht. Zweiundzwanzigtausend Somalier aus der Ogaden-Region Äthiopiens halten sich dort gerade so über Wasser, sie sind entweder vor den Auseinandersetzungen 1977/78 oder wegen der darauf folgenden Hungersnöte geflüchtet.
Die Lagerbewohner leben in Behausungen, die aus gespendeten Abdeckplanen, Akazienzweigen, Lumpen und gesammeltem Metall zusammengestückelt sind. Vom erodierten, ausgelaugten Erdreich steigen große Staubwolken auf. Filsan schützt Nase und Augen vor dem Sand und hält sich dicht an Captain Yasin. Mehrere Wohltätigkeitsorganisationen unterhalten an verschiedenen Stellen im Lager Schulen, Kliniken, Gemeinschaftszentren; mit Fahnen und Plakaten, die von Akronymen nur so triefen, markieren deutsche, irische und amerikanische humanitäre Helfer ihre Territorien. Ein Blick auf das Lager macht deutlich, wie sehr Somalia in diesem Krieg gedemütigt worden ist; ein paar Kilometer entfernt besitzen diese Menschen Land, ein Zuhause, Höfe, hier leben sie von Grütze. Irgendwann im September 1977 hatten sich neunzig Prozent des Ogaden in der Hand der somalischen Regierung befunden, und die Nation hat sich immer noch nicht von der enormen Gewalt erholt, die nötig war, die Menschen aus dem Land ihrer Väter wieder zu vertreiben, wird sich vielleicht niemals davon erholen; der Krieg hat die Regierung Truppen, Ausrüstung und die Unterstützung der Sowjetunion gekostet.
Als Treffpunkt hat Captain Yasin dem Anführer der Milizen den Friedhof im Westen des Lagers genannt, und die ungefähr fünfzig Burschen hocken dort wartend zwischen den Felsbrocken, die Gräber markieren. Die Kämpfer sind zerlumpte
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