Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
getrieben hat. Sie hat absichtlich weder Make-up aufgelegt noch sonst etwas an ihrem Erscheinungsbild geändert. Wenn er sie will, muss er sie ohne Verschönerung und Spielchen akzeptieren. Wiederholt schielt sie auf die kahle Stelle, die auf seinem Kopf keimt; die Süßigkeit ist zwar kindisch, aber sie ist trotzdem gerührt.
«Ich habe schlechte Nachrichten für Sie», sagt er.
Sie sieht ihm in die Augen.
«Ihre Versetzung ist gestrichen. Letzte Nacht haben die Rebellen an der Grenze ein Flugzeug abgeschossen. Irgendwoher haben sie Luft-Boden-Raketen ergattert.»
«Das ist schrecklich.»
Er zuckt die Schultern. «Das Ende ist nah.»
Captain Yasin geht allein zum Mittagessen, aber gegen Ende des Arbeitstages, als ihre Finger vom Dauertippen brennen, tigert er um ihren Schreibtisch herum und fragt, was sie mit ihrem Abend vorhabe.
«Lesen, Captain.»
«Armes Mädchen, mehr haben Sie nicht vom Leben?»
Filsan setzt sich kerzengerade auf. «Ich bin nicht zum Vergnügen hier. Ich will etwas aus meinem Leben machen.»
«Das Leben ist zum Genießen da.»
«Für Faulenzer und Straßenjungen vielleicht.»
«Nein, auch für Sie und für mich. Dürfte ich Sie zum Abendessen ausführen?»
Filsans Blick wandert zu ihren Händen. «Ich weiß nicht.»
«Ich weiß nicht? Sind Ihre Bücher wirklich so viel interessanter als ich?»
«Ich muss noch arbeiten.»
«Ich auch. Reden wir beim Essen über die Arbeit.»
Captain Yasin wartet unter einem Strommast hundert Meter von der Kaserne entfernt. In dem weißen Hemd, das im Dämmerlicht fluoreszierend leuchtet, wirkt er dünn und eckig. Sie hat ausgestellte Jeans und eine weitfallende, rote Tunika angezogen, ein Tuch liegt um ihre Schultern. Sie begrüßen einander linkisch, schütteln sich im Licht einer Teebude die Hand, ihre ist winzig in der seinen.
«Roble, sehr erfreut», lächelt er. Zum ersten Mal hat er ihr seinen Vornamen genannt.
«Filsan, ebenso.»
Filsan geht neben ihm her und spürt eine statische Aufladung, als würden sie buchstäblich unter Strom stehen; es fühlt sich erstaunlich gut an, neben einem Mann zu gehen im Wissen, dass er einen allen anderen Frauen vorzieht.
Roble, der die Hände in die Hosentaschen gesteckt hat, gibt die Richtung vor und plaudert über Restaurants, die er mag, Hotels, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, die besten Orte, wo man höhere Beamte trifft.
Filsan nickt höflich und fragt sich, ob er von dem Zwischenfall mit Haaruun gehört hat. Die Nachricht hat sich verbreitet, denn die Leute starren sie an, stupsen sich an bei ihrem Anblick, aber sie hofft inständig, dass ihm die Sache entgangen ist.
Als ein Lastwagen gefährlich dicht an ihnen vorbeifährt, zieht er sie von der Straße weg; die Ausgangssperre steht unmittelbar bevor, und ungeachtet des maroden Straßenzustands rasen die Zivilfahrzeuge vorbei, um rechtzeitig an ihr Ziel zu gelangen.
An einem Checkpoint biegen sie nach rechts, grüßend hebt Roble vor einer Gruppe Soldaten hinter der Schranke die Hand, und sie betreten das Lake Victoria, ein Gartenlokal, in dem zahme Tiere durch das Gelände streifen.
Es ist brechend voll mit Männern in Uniform, die auf weißen Plastikstühlen um Tische sitzen, die ein wenig schief auf dem Schotter stehen; Ketten mit roten Glühbirnen ziehen sich von Ecke zu Ecke, und ein Generator überdröhnt die Musik, die aus zwei großen Lautsprechern dringt.
Die Männer sehen von ihren Kartenspielen, von ihrem Essen auf, taxieren die Frau in ihrer Mitte.
«Ist es recht hier?», fragt Roble und zeigt auf einen dunklen Tisch unter einer Bougainvillea.
Filsan kennt die Bedeutung dieser Blicke. Dass sie eine Hure ist, weil sie sich in der Öffentlichkeit mit einem Mann zeigt, mit dem sie nicht verheiratet ist. Als sie auf ihren Stuhl rutscht, sind immer noch alle Blicke auf sie gerichtet. Umgehend taucht neben Roble ein Kellner mit schwarzer Fliege und Schuhen ohne Fersenkappen auf. Roble bestellt zwei Cola und eine Lammplatte.
Langsam wendet sich die Aufmerksamkeit von Filsan wieder dem roten Kern des Restaurants zu.
«
Bedus
.» Roble lächelt. «Man könnte denken, sie hätten noch nie eine Frau gesehen.»
«Ungebildet eben.»
«Oder eifersüchtig.» Roble streichelt mit dem Knöchel seines rechten kleinen Fingers über ihren kleinen linken Finger.
«Lassen Sie das.» Filsan zieht ihre Hände aus seiner Reichweite.
Er hebt die Hände zum Zeichen, dass er sich ergibt.
Ein winziges Kitz nähert sich nervös zitternd ihrem
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