Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Tisch; Filsan nimmt von dem Schälchen auf dem Tisch eine Pistazie und bietet sie ihm auf der flachen Hand dar. Das Tier kommt näher und näher, schnuppert an ihrer Hand. Es ist von anrührender Schönheit, die großen, schwarzen Augen mit den dichten Wimpern, das karamellfarbene Fell, die zarten Knochen. Es verschmäht die Pistazie und springt zum nächsten Tisch.
«Warum sind Sie nicht schon längst verheiratet?», fragt er.
«Mich wollte keiner.»
«Wissen Sie auch, warum?»
«Nein, warum?» Filsan lächelt überrascht; sie beschließt heute Abend offen und freimütig zu sein, sich einmal keine Zurückhaltung aufzuerlegen.
«Weil Sie sich so benehmen, als würden Sie niemanden brauchen.»
«Ich
brauche
auch niemanden, aber das heißt nicht, dass ich nicht bestimmte Wünsche habe.»
«Und welche bestimmten Wünsche sind das?»
«Jemand an meiner Seite, auf meiner Seite, mit dem ich meine Gedanken teilen kann.»
Roble zündet sich eine Zigarette an, ein weiteres Lichtpünktchen in der Dunkelheit. «Gedanken über das Budget unseres Ministeriums oder andere Gedanken?»
«Gedanken über alles Mögliche. Sie würden nie erraten, wie weit und wie tief meine Gedanken reichen.»
«Aha, Sie philosophieren also da oben auf Ihrer kleinen Stube?»
Der Kellner kommt mit einem Tablett, auf dem sich der Reis um die Lammschulter türmt, und zwei Cola-Flaschen, die von der ständigen Wiederverwendung schon ganz rau sind.
«Hin und wieder. Aber manchmal wünsche ich mir einfach, dass in meinem Leben mal etwas Gutes passiert.»
«So etwas wie ich vielleicht?»
Filsan hebt eine Augenbraue. «Höchst arrogant.»
«Zugegeben, aber habe ich unrecht?»
«Das weiß ich noch nicht. Warum schenken Sie mir auf einmal so große Aufmerksamkeit?»
«Zeit. Uns bleibt weit weniger Zeit, als wir glauben, besonders uns Soldaten, daher ich will meine Zeit nicht mit Warten verschwenden.»
Filsan hebt die Flasche zum Mund, um ihr Lächeln zu verbergen.
«Sehr dramatisch. Aber unsere Abteilung ist doch ziemlich sicher?»
«Momentan ja, aber machen Sie sich keine Sorgen, ich bin da und beschütze Sie.»
«Wahrscheinlich würde ich Sie besser beschützen.»
«Ganz bestimmt würden Sie die Rebellen mit vorgehaltener Schreibmaschine zur Aufgabe zwingen.»
Roble bringt Filsan zur Kaserne zurück. Die Ausgangssperre hat die Zivilisten gezwungen, sich in ihren Häuser einzuschließen, nur ein schwacher Geruch nach Holzkohle, Gewürzen und Petroleumlampen lässt ihre Existenz erahnen. Die Straße ist dunkel und verlassen, nur das Schreien und Rascheln der Mäuse jagenden Katzen und das leise, vom Knacken eines Funkgeräts untermalte Gespräch der Soldaten im Checkpoint sind zu hören. Filsan sieht nach oben; der Himmel, der sich über ihnen wie eine Kuppel wölbt, wimmelt von Sternen, zarte schwarze Wolken, silbern oder weiß gerändert, ziehen über den Mond hinweg – dort oben ist eine Stadt voller Leben.
«Sie wissen, dass man in klaren Nächten die Satelliten sehen kann?»
«Habe ich gehört. In Mogadischu gibt es zu viel Licht, als dass man so etwas sehen könnte.» Filsan starrt weiter in den Himmel und stolpert über einen Stein.
Stützend umfasst Roble ihre Taille, einen Augenblick lang liegen ihre Hände auf den seinen, dann schiebt Filsan sie weg.
Langsam und furchtlos schlendern sie zur Kaserne zurück. Filsan fällt ein, dass sie einmal gelesen hat, die Nacht sei für Liebende gemacht und jedes Paar unsichtbar für den Rest der Welt. Das stand in einem Liebesroman, den Rahma vergessen und Filsan unter ihrem Bett gefunden hatte.
Ein scharfer Wind fegt durch die Straße, bläht Robles Baumwollhemd, und Filsan muss sich ihr Tuch fester um die Schultern ziehen. Fast haben sie die Kaserne erreicht.
«Du solltest nicht weitergehen, sonst sieht man dich noch», sagt Filsan und streckt ihm die Hand hin. «Bis morgen.»
Roble lacht leise über ihre Förmlichkeit, schüttelt ihr aber die Hand.
Er wartet, bis sie am Wachposten vorbei und auf dem Gelände ist. Außer Sichtweite beobachtet Filsan im Treppenhaus, wie er sich umdreht und weggeht. Sein Anblick, wie er mit gebeugtem Kopf in die Dunkelheit schreitet, rührt sie; er wirkt so einsam, so verletzlich, eine Beute für alle möglichen Geister oder Ungeheuer. Sie will seinem Rücken eine Kusshand zuwerfen, kommt sich aber albern vor und begnügt sich damit, seinem weißen Hemd nachzusehen, das in der Nacht verschwindet wie ein von hohen Wellen und niedrigen Wolken
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