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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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umspieltes Schiffssegel.
    Statt in die erwarteten Träume – voller Zärtlichkeit, Kerzenlicht, Erhabenheit – versinkt Filsan in einem Albtraum. Sie steht auf einer dunklen Ebene, nur sie und die Ältesten, hinter deren Rücken die unzerstörte
berked
. Der Wind heult um sie herum, reißt Filsan die Worte von den Lippen, sie trägt weder Gewehr noch Pistole, sondern hat ein Messer mit gezackter Klinge in der Hand, das im grauen Licht schimmert. Die weißen Pilgergewänder der Ältesten flattern knallend im tosenden Wind, aber die Männer selbst stehen schweigend da. Filsan hebt ein Bein und macht einen Schritt vorwärts, die Schwerkraft ist aufgehoben, ihr Schritt wird zum Sprung, zum Flug und verzweifelt versucht sie, wieder auf den Boden zu gelangen, schwebt am größten der Ältesten vorbei, langt nach unten und packt seinen Arm, benutzt ihn als Anker. Seine Haut ist eisig, und tief in seinen leeren Augenhöhlen kreisen Wirbel. Filsan berührt seine Brust, aber da ist kein Herzschlag, kein Einatmen, kein Ausatmen zu spüren; der Körper ist eine harte Schale, von der sterilen Mondluft tadellos konserviert. Die
berked
ist bis zum Rand mit pudrigem, weißem Staub gefüllt. Der Abgrund dahinter, sternenlos und formlos, erstreckt sich scheinbar bis in die Ewigkeit. Der einzigeUnterschlupf weit und breit befindet sich im Körper des Ältesten. Filsan sägt mit dem Messer am Hals des Mannes, wie Metall klirrt die Haut beim Druck der Klinge, blaue Funken sprühen. Mühsam führt sie das Messer hin und her, bekommt Blasen an den Handflächen, bis die metallene Halsschlagader aufgeschlitzt ist. Sie hält sich am Gewand des Ältesten fest, meidet seinen leeren Blick, senkt den Arm und lässt die schmerzende Schulter kreisen. Nochmals hebt sie das Messer an den Schnitt, langsam tropft aus dem Hohlraum eine Flüssigkeit; sie stippt mit dem Finger hinein und mustert ihn. Es ist helles, dünnflüssiges Blut. Sie sieht keine Alternative, versucht, sich in den Ältesten hineinzuzwängen, Messer, Hände, Wangen sind blutbeschmiert. Mit einem Knacken bricht sein Kopf ab und fällt in den Dreck. Filsan versucht, sich durch die Öffnung zu quetschen, kann aber nur einen Arm hineinschieben, Blut quillt zwischen ihren Fingern hindurch. Es gibt keinen anderen Ausweg als den Abgrund, der sie ruft.
    Sie schreckt in ihrem Bett hoch und macht das Deckenlicht an, ganz sicher, dass ihre feuchten, kalten Hände blutverschmiert sind, hält sie sich vor die Augen – sie sind sauber, die gleichen braunen Linien in den Handflächen, die gleichen molligen Finger wie immer.
    «Uns vergisst man nicht so leicht», scheinen die Ältesten zu sagen.
    «Ich bin schneller als ihr», entgegnet sie und schlägt energisch die Laken zurück.
    Ohne Bad oder Küche aufzusuchen, verlässt sie die Kaserne und wäscht sich das Gesicht im Büro. In den vergitterten Fenstern geht die Sonne auf, und langsam ziehen sich die Ältesten aus ihren Gedanken zurück. Sie nimmt den Stapel Berichte in Angriff, den sie am Tag zuvor nicht bearbeitet hat, weil sie sich nicht hatte konzentrieren können. In einer besonders dicken Akte wird erwähnt, dass ein Rebellenführer mehrmals gesichtet worden ist, in Äthiopien, aber auch in Somalia selbst, im Oriental Hotel, wenn man den Guddi Glauben schenken kann. Offensichtlich sind die Guddi der Meinung, falsche Informationen seien besser als gar keine. Ihre ständigen Intrigen gegen Einzelpersonen oder Gruppen machen ihr die Arbeit doppelt und dreifach schwer.
    Draußen rast mit kreischenden Sirenen eine Kolonne von Polizeiautos vorbei. Filsan steht auf und stellt sich ans Fenster. Im Hauptquartier des Regionalen Sicherheitsrats, das sich im ehemaligen Haus des District Commissioners befindet, brennt es; das Gebrüll der Demonstranten geht im Sirenengeheul unter. Am Himmel steht eine schwarze Rauchsäule wie ein Riesendschinn, der aus seiner Flasche entkommen ist. Sie nimmt den Telefonhörer in die Hand und wählt die Nummer von Birjeeh, das Besetztzeichen tutet ihr entgegen, und sie stellt sich wieder ans Fenster. Diese Rauchsäule bedeutet für ihre Abteilung endlose Ermittlungen, wochenlange Arbeit – wer immer das Ratsgebäude angezündet hat, hat der Regierung den Fehdehandschuh hingeworfen: wenn sie zu einem derart geschützten Grundstück vordringen können, dann können sie überallhin kommen.
    Roble kommt mit Colonel Magan vom Mobilen Militärgericht herein. Filsan vermeint, die Andeutung eines Lächelns auf dem Gesicht

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