Der Gast des Kalifen
überlegten, erst bei Sonnenuntergang weiterzumarschieren und die Nacht hindurch zu reisen, sodass wir mit etwas Glück den Hafen erreichen würden, bevor am Morgen das erste Schiff den Anker lichtete.
Das taten wir dann auch und verbrachten eine ruhige Nacht auf der Straße. Am nächsten Morgen erreichten wir kurz nach Sonnenaufgang die kleine Hafenstadt Sankt Simeon. Nirgends war auch nur ein Soldat zu sehen, doch zwei der Rundschiffe, mit denen wir hierher gelangt waren, befanden sich noch immer in der Bucht und ließen die kleineren Fischerboote, die friedlich ein Stück vom Ufer entfernt vor Anker lagen, geradezu winzig erscheinen.
Wir eilten die enge Straße zum Hafen hinunter, wo Roupen sich nützlich machte, indem er mit einem der örtlichen Fischer darüber verhandelte, uns mit dem Boot nach Famagusta zu bringen. Der
Fischer kannte den Ort gut und war erfreut, sogleich mit hartem Silber für seine Dienste bezahlt zu werden. Er rief nach seinem Sohn und einem seiner gerade herumlungernden Freunde, damit sie ihm mit dem Boot halfen, und nachdem wir uns mit ein paar Brotlaiben, ein wenig Wein und einigen gekochten Eiern und Ziegenkäse eingedeckt hatten, legten wir ab.
Als das Boot in die Bucht hinausglitt, ließ ich meinen Blick über die Straße und die Hügel schweifen, um ein letztes Mal nach unseren Verfolgern Ausschau zu halten - nichts. Ich kam zu dem Schluss, dass Bohemund wohl nur einen halbherzigen Versuch unternommen hatte, unserer habhaft zu werden; hätte er uns im Ernst gejagt, hätten seine Männer uns schon längst gefangen genommen. So ging ich davon aus, dass er seine Anstrengungen in eine andere Richtung gelenkt hatte, und entspannte mich ein wenig. Bei diesem Rennen, so entschied ich, ging es ohnehin nicht darum, irgendwelchen Verfolgern davonzurennen, sondern Anavarza als Erster zu erreichen. Diesem Ziel beschloss ich mich fortan zu widmen.
Über unsere Reise nach Zypern kann man lediglich sagen, dass sie ausgesprochen rasch und angenehm ereignislos verlief. Am Abend des zweiten Tages erreichten wir Famagusta an der Ostküste Zyperns und machten uns sofort auf die Suche nach dem Mann mit Namen Jordanus. Es würde schon nichts schaden, mit ihm zu reden, dachte ich. Sollte uns der Mann aus irgendeinem Grund missfallen, oder sollten wir entscheiden, dass seine Bekanntschaft wertlos für uns war, würden wir einfach weiterziehen und uns allein einen Weg nach Anavarza suchen.
An diesem Abend, als der Mond über dem stillen Hafen aufging, hätte nichts einfacher und klarer sein können ... doch wie ich rasch lernen sollte, war nichts in Outremer einfach und klar. Unsere Suche fand ein rasches Ende, und zwar einfach aufgrund der Tatsache, dass nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr mit Fremden auf der Straße reden wollte. Zu guter Letzt waren wir gezwungen, uns eine Kammer bei einem örtlichen Wollhändler zu nehmen, der Reisenden einen Teil seines großen Hauses gegen ein geringes Ent-gelt zur Verfügung stellte. Am nächsten Morgen standen wir früh auf und setzten unsere Suche nach Jordanus fort - und zwar mit neuem Schwung, zumal wir allmählich glaubten, uns laufe die Zeit davon, denn mit jedem Tag, den wir vertrödelten, rückte Bohemunds Angriff auf Anavarza näher.
Bevor wir das Haus des Wollhändlers verließen, fragten wir ihn, ob er einen Mann mit Namen Jordanus Hippolytus kenne. Unser freundlicher Gastgeber hatte schon von ihm gehört. »O ja«, versicherte er uns. »Er lebt in der Oberstadt - der Altstadt. Er ist ein Goldschmied - ein edler Mann, ein wahrer Heiliger, der berühmt ist für seine guten Taten . falls ich denn den richtigen Mann im Kopf habe.«
»Der Mann, den du im Kopf hast«, mischte sich die Frau des Händlers ein, »lebt nicht in der Altstadt. Er lebt in einem großen Haus am Ende der Straße hinter dem Hügel.«
Ein Schatten huschte über das heitere Gesicht des Händlers. »Woher weißt du denn, wen ich im Kopf habe?«, verlangte er zu wissen. »Sei ruhig, Weib. Du verwirrst die guten Leute nur.«
»Ich verwirre sie nicht mehr, als du sie bereits verwirrt hast«, erwiderte die Frau in scharfem Ton und wandte sich an uns. »Hört auf meinen Rat, und bittet jemanden, Euch den Weg zum Haus hinter dem Hügel zu zeigen.«
»Die Altstadt«, versicherte uns der Händler. »Hört nicht auf mein Weib. Sie denkt offenbar an jemand anderen.«
Mit diesen widersprüchlichen Hinweisen bewaffnet begannen wir unsere Suche in der Altstadt, wie der Kaufmann
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