Der Gast des Kalifen
wie Mitleid für ihn, obwohl dies hier der Mann war, der mich zum Tode verurteilt hatte.
»So!«, rief er schließlich mit lauter Stimme. Dann wiederholte er es noch einmal, doch leiser diesmal, als fürchte er sich vor der Gewalt seines eigenen Ausbruchs. »So! So weit ist es also schon gekommen.«
»Mein Herr?«, erwiderte ich.
»Ich bin der Kalif!Der Herrscher und Beschützer von Ägypten! Ganze Heere marschieren aufmeinen Befehl hin! Ich sage, was sein wird, und es ist so. Ich bin das Gesetz und die Hoffnung meines Volkes, und nur Allah bin ich Rechenschaft schuldig.« Er starrte mich an, als erwarte er, dass ich ihm widerspreche.
»Das stimmt, Herr«, entgegnete ich schlicht.
»Und doch«, er stieß einen Finger in die Luft, »ist es so weit gekommen!«
Er schien mit dieser Erklärung zufrieden zu sein und begann wieder, steifaufund ab zu laufen. Ich verstand noch immer nicht, was er mir mit diesen Worten sagen wollte, und der Eindruck, dass ich einen Wahnsinnigen vor mir hatte, schien mit jedem Augenblick mehr zur Gewissheit zu werden. »Ihr wolltet mich sehen, Herr«, erinnerte ich ihn mit sanfter Stimme.
»Bilde dir nur ja nichts ein!«, schrie er von plötzlicher Wut gepackt. »Ein Wort von mir genügt, und du bist des Todes.«
»Verzeiht mir, ehrwürdiger Kalif. Euer Diener ist Euch wie stets zu Diensten.«
Das schien ihn ein wenig zu beruhigen. Er setzte sich wieder.
»Du bist ein Vater«, sagte er in fast vorwurfsvollem Tonfall.
»Das bin ich, Herr.«
»Dann kennst du auch die Liebe eines Vaters für seine Kinder«, erklärte er mit einer Stimme, als würde ich für diese Tatsache weithin gepriesen.
»Das tue ich, ja. Gott weiß es.«
Er nickte. »Und dann kennst du auch das Leid eines Vaters, der ein rebellisches Kind bestrafen muss.«
»Es ist eine Qual, die einem die Seele zu zerreißen vermag«, erwiderte ich.
»Ja'allah! Das ist wahr!«, rief er. Dann schloss er die Augen und begann langsam aufseinem Kissen zu schaukeln. Der Schmerz, den er litt, stand deutlich in seinem faltigen Gesicht geschrieben.
So saß er eine Weile da, und ich ließ ihn in seinem Leid in Ruhe. Schließlich atmete er tief durch und öffnete die Augen wieder. »Ich bin das Gesetz und der Schutz meines Volkes«, sagte er, und seine Stimme klang nun ruhig und fest. »Es ist an mir, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. So steht es geschrieben: Ein Mann, der den Willen Allahs kennt und ihn nicht erfüllt, wird den Feuern der Verdammnis nicht entkommen. Und: Ein Gläubiger, der vom Pfad der Rechtschaffenheit abweicht, ist nicht besser als ein Ungläubiger; er wird seine Belohnung bei den Verdammten finden.« Er blickte mich scharf an. »Ist das nicht so?«
»Das ist so, Herr«, bestätigte ich.
»Ja«, seufzte er, und jetzt klang seine Stimme sanft, fast wie die eines gebrochenen Mannes. »Daraufläuft es also hinaus: Mein Sohn ist rebellisch und ungläubig. Er hat Böses getan, und das Blut der Ermordeten verlangt Gerechtigkeit. Du bist ein Vater. Du liebst dein Kind. Du weißt, wovon ich spreche.«
Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht gewusst, was der Grund für seine Qualen war, doch bei diesen letzten Worten wurde mir plötzlich die ganze Bedeutung dieser seltsamen Zusammenkunft bewusst.
»Auge um Auge, Zahn um Zahn ... Leben um Leben. Das«, sagte er, »ist das kalte Herz des Gesetzes.«
Ich spürte, wie mein Herz zu Eis erstarrte.
»Mein Sohn muss sich vor Allah für seine Taten verantworten«, fuhr der Kalif fort. »Der Gerechtigkeit muss Genüge getan und der Rechtschaffenheit zum Sieg verholfen werden. Ich bin der Kalif, und so muss es sein.« Er warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, auf dass ich ihn verstehen möge.
Mir sträubten sich die Nackenhaare. Plötzlich wusste ich, warum er ausgerechnet mit mir darüber sprach: Ich sollte das Werkzeug dieser Gerechtigkeit sein. Das war der Grund, warum er mich zu sich gerufen hatte.
»Du bist ein Edelmann und Vater«, sagte er erneut. »Du verstehst diese Dinge.«
»Ich verstehe Eure Lage, Herr«, gestand ich hölzern und wünschte mir von ganzem Herzen, es wäre anders.
»Ich bin der Kalif.«, schnappte er plötzlich. »Bilde dir nur ja nichts ein!«
»Verzeiht mir, ehrwürdiger Kalif. Ich bin Eurer Gnade unwürdig.«
Erneut sprang er auf. Er rief nach den Wachen, und die Tür wurde sofort geöffnet. Der Kalifdeutete aufmich und erteilte einen knappen Befehl auf Arabisch, woraufhin man mich packte und hinauszerrte. Al-Hafiz rief mir hinterher:
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