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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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Prüfungen war mein einziger Trost, dass du nicht wusstest, wie dein Vater leiden musste. So würden deine Erinnerungen an mich immer nur von Glück geprägt sein - falls du dich denn meiner überhaupt noch erinnerst. Du warst noch so jung, als ich dich verlassen habe, Herz meines Herzens, und das bekümmert mich mehr als alles andere. Glaub mir, seitdem habe ich das schon zehntausendmal bereut.
    Doch ach, als der träge, unwissende Mann, der ich bin, habe ich Gottes schnelle, sichere Hand nicht erkannt, die auch im Chaos dieser unheilvollen Tage mein Geschick gelenkt hat. Ohne Zweifel hätte Padraig den Verstand besessen, das feine Muster des göttlichen Plans im verwirrenden Gewebe der Zeit und der Myriaden menschlicher Taten zu erkennen.
    »Schau her, Duncan«, hätte der gute Priester vermutlich gesagt. »Schau dir an, wie dieser Mantel aus unzähligen Fäden gewoben ist -einige dunkel, andere hell. Das Muster entsteht aus dem Zusammenspiel von beiden, und wer außer dem Weber vermag es schon vorherzusehen?«
    Ich vermisse Padraig sehr, und ständig bete ich für ihn wie auch für dich, meine Seele. Ja, und jeden Tag verfluche ich meine Unwissenheit und meine Torheit. Wie überheblich ich doch war zu glauben, dass ich ein wenig Ordnung in das Chaos des wogenden, finstren Ostens bringen könnte. Ich bereue den Tag, da ich mich darauf einließ, so tief in Ereignisse hineingezogen zu werden, die mich nichts angingen und die mich nur immer weiter vom eigentlichen Ziel meiner Pilgerfahrt wegführten.
    Hätten wir nur einen Tag länger gewartet - ja, einen halben Tag nur! -, die Schlacht wäre zu Ende gewesen, und ich wäre nie gefangen genommen worden. Hätten wir nur einen halben Tag lang gewartet, wäre ich jetzt nicht der Gnade des Kalifen von Kairo ausgeliefert. Und doch. Wie Padraig nie müde wird zu betonen: Die schnelle, sichere Hand unseres Herrn biegt alles für jene zurecht, die ihn lieben.
    Aber sosehr ich auch meine Hoffnung auf diesen Glauben setzte, so kann ich doch nicht behaupten, auch nur den Hauch des Guten auf dem langen, beschwerlichen Marsch nach Damaskus verspürt zu haben. Falls hinter all diesem Leid und den Strapazen ein Plan verborgen war, so muss ich gestehen, dass ich ihn nicht erkannte. Vielleicht wird der Herr mir meine Kurzsichtigkeit jedoch verzeihen, denn die meiste Zeit über kämpfte ich um das nackte Überleben.
    Emir Ghazi befahl seinem Heer, sofort nach Süden zu marschieren. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, so nehme ich an, dass er die einmalige Gelegenheit erkannt hatte, die sich ihm nun bot. Nachdem er Antiochias Schutzmacht vernichtet hatte, beabsichtigte er, seinen Vorteil so weit wie möglich auszunutzen.
    So kam es, dass den Kriegern des Emirs keine Zeit blieb, um Atem zu holen, geschweige denn, ihren Sieg zu feiern; stattdessen setzten sie sich sofort wieder in Bewegung. Zu diesem Zweck gingen die Seldschuken mit gezogenen Schwertern durch die Reihen der gefangenen Kreuzfahrer; jeder, der eine größere Wunde davongetragen hatte, wurde an Ort und Stelle erschlagen. Jene mit kleineren Wunden wurden verschont. Man gestattete ihnen weiterzuleben -solange sie laufen konnten. Dennoch gab es Tage, da ich glaubte, ein rascher Hieb in den Nacken wäre diesen Qualen vorzuziehen gewesen.
    Wir marschierten vom Schlachtfeld in die niedrigen Hügel im Nordosten. Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit hielten wir wieder an. Ich verbrachte eine kalte Nacht auf dem Boden in Gesellschaft von acht anderen Gefangenen. Man hatte uns in Gruppen aneinander gebunden, um uns die Flucht unmöglich zu machen, und jede Gruppe wurde von den anderen getrennt, um es nicht zu einem Aufruhr kommen zu lassen.
    Viel zu entmutigt, um zu sprechen, legten wir uns auf den steinigen Untergrund und schliefen den Schlaf der Toten. Am folgenden Morgen standen in der Tat auch einige nicht mehr auf, und mancher, der den Marsch wieder aufnahm, beendete ihn nicht mehr.
    Dieser Tag sollte das Muster für die folgenden sein: Bei Sonnenaufgang weckten uns unsere Wächter mit den stumpfen Enden ihrer Speere. Jeweils zu zweit wurden wir aneinander gefesselt - mit einem kurzen Strick an den Fußgelenken und einem etwas längerem am Hals -, und anschließend band man uns die Hände. Dann gab man uns einen Schluck Wasser, und das Heer setzte sich wieder Richtung Süden in Bewegung. Die Hauptstreitmacht der Seld-schuken ritt uns voraus. Wir Gefangene befanden uns bei dem langsamer dahinziehenden Tross.
    Wir schlurften die

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