Der Gast des Kalifen
mir jedes geliebte Gesicht in mein Gedächtnis zurück und betete für jeden, an den ich mich erinnerte. Auf diese Art überstand ich die Qualen dieses unmenschlichen Tages.
Als die Sonne schließlich im Westen hinter den Hügeln versank, hielten die Seldschuken an, um das Nachtlager aufzuschlagen. Wir drei legten steif, doch vorsichtig unseren verwundeten Freund auf den Boden und brachen neben ihm zusammen. Dort lagen wir dann und keuchten wie von der Sonne versengte Hunde, rührten uns nicht mehr, und der Schweiß liefuns in Strömen über die geschundenen Körper und vermischte sich mit dem Staub unter uns.
Die Sonne war schon fast zur Gänze untergegangen, als uns einer der Seldschuken einen Wasserschlauch brachte und uns mit einigen Schlucken Wasser wieder zum Leben erweckte. Nachdem ich getrunken hatte, stützte ich mich aufdie Ellbogen, um unseren bewusstlosen Kameraden zu wecken, damit auch er seinen Teil trinken konnte. Da bemerkte ich, dass er tot war.
Wann er gestorben war und wie lange wir seinen leblosen Körper noch mit uns geschleppt hatten, das vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, dass ihn das Leben still und heimlich verließ; er hatte noch nicht einmal einen Seufzer ausgestoßen. Mit offenem Mund und geschlossenen Augen lag er einfach nur da, als schliefe er.
Unsere Wache hatte für den Tod unseres Gefährten nur ein Schulterzucken übrig und wandte sich ab. So schliefen wir diese Nacht an eine Leiche gebunden; erst am nächsten Morgen wurden wir von ihr befreit, als die Wache uns losschnitt, damit wir weitermarschieren konnten. Ich betete, dass ich nicht so wie diese arme Kreatur sterben würde: unbetrauert, unbekannt und nicht mehr als eine verfluchte Last für jene um mich herum.
Der nächste Morgen markierte den Beginn eines weiteren höllischen Tages. Meine Arme und Beine fühlten sich an wie Blei. Mein Kopfschmerzte, und mein Mund war staubverklebt. Jenen von uns, die noch lebten, gab man eine großzügige Ration Wasser, welches wir rasch hinunterschluckten, bevor die Wachen es sich anders überlegen konnten. Ich dankte Gott für jeden Mund voll. Es gab viele, die den kommenden Tag nicht mehr aushalten würden, und sie weigerten sich aufzustehen. Die Seldschuken töteten zwei Unglückliche, und so fand der Rest angesichts der türkischen Speere doch noch einen letzten Rest Kraft, um sich aufzurappeln und wieder in Bewegung zu setzen.
Ich hielt mich mit Psalmen und Gebeten am Leben. Immer wieder wiederholte ich: »Der Herr ist mein Hirte. Mir wird an nichts mangeln. Der Herr ist mein Hirte. Mir wird an nichts mangeln. Der Herr ist mein Hirte . und wandere ich auch im finstren Tal . ich fürchte nichts Böses.«
Immer und immer wieder sprach ich diese Worte, und ihr Rhythmus wurde für mich zur Litanei des Lebens, denn solange ich sie sagen konnte, wusste ich, dass ich noch am Leben war - zumindest bis zum Ende des Psalms.
Die sengende, erbarmungslose Hitze und der Mangel an Wasser forderten ihren Tribut von uns. Überall um mich herum brachen Männer zusammen, und während der Tag einfach nicht enden wollte, begann ich, die Toten zu beneiden.
Meinen Psalm vor mich hin murmelnd versank ich immer wieder in Träume. Ich sah Padraig vor mir gehen und versuchte, ihn zu grüßen, doch meine Kehle war so ausgetrocknet, dass ich keinen Laut herausbrachte. Als ich dann genauer hinsah, erkannte ich, dass es sich nur um einen weiteren gefangenen Kreuzfahrer handelte. Ich sah meinen Vater, Murdo, auf einem Felsen neben der Straße sitzen. Mitleidig schüttelte er den Kopf, als ich an ihm vorüberging, und ich wollte mit ihm sprechen, wollte ihm sagen, wie Leid es mir tat, dass ich unser Heim verlassen hatte, ohne noch einmal mit ihm zu sprechen, doch er verwandelte sich in Luft, bevor ich meine Stimme finden konnte.
Ich roch die salzige Luft der See meiner Heimat. Ich roch das Wasser und hörte das endlose Rauschen der Wellen, die gegen die Felsen schlugen und sie glatt rieben. Ich hörte das schrille Kreischen der Seevögel, die am blauen, wolkigen Himmel kreisten - an einem Himmel, wie man ihn in den Wüsten des Heiligen Landes niemals sieht.
Die Gerüche und Geräusche riefen Bilder in mir hervor: Bilder der Menschen, die ich liebte. Ich hörte ihre Stimmen, und ich versuchte zu verstehen, was sie sagten, aber in ihrer Freude, mich wieder bei sich zu haben, redeten sie alle durcheinander, sodass es mir nicht gelingen wollte.
Ich hob die Hände und wollte etwas sagen, doch ich brachte
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