Der Gast des Kalifen
geraubt.« Er spie aus. »Was auch immer das ihnen nützen mag. Gott weiß, dass es uns nicht geholfen hat.«
»Halt dein stinkendes Maul, Matthias!«, knurrte Thomas. »Vielleicht hat der Allmächtige uns wegen Gotteslästerern wie dir verlieren lassen. Hast du je darüber nachgedacht?«
»Was fällt dir ein, mir so zu kommen? Bist du plötzlich zum Heiligen geworden, oder was?«, fauchte der beleidigte Matthias. »Wie jedem anderen, so hat man auch mir die Beichte abgenommen, bevor wir die Stadt verlassen haben, und uns allen hat man die Absolution erteilt. Wenn du mir noch einmal die Schuld für diese Misere in die Schuhe schiebst, dann ... dann. Gott helfe mir.«
»Wo ist es?«, fragte ich und unterbrach sie erneut.
»Das Kreuz? Nun, die Türken haben es genommen«, antwortete Matthias. »Sie werden es beim Rest der Beute verwahren. Gott allein weiß, was die Heiden damit anfangen werden.«
»Sie werden es verbrennen«, vermutete Gerhardus traurig. »Bei Gott, das werden sie. Diese gottlosen Teufelsanbeter sind zu allem fähig.«
Das Gespräch wandte sich nun der Frage zu, was wohl mit uns geschehen würde, nachdem wir Damaskus erreicht hatten, aber da niemand auch nur die geringste Ahnung hatte, zog ich mich zurück und dachte darüber nach, was ich gerade erfahren hatte: Das Heilige Kreuz war hier in diesem Lager . irgendwo.
Da beschloss ich, meine Pilgerfahrt wieder aufzunehmen, sollte der Herr des Himmels sich mir gnädig zeigen und mir gestatten weiterzuleben: Irgendwie würde ich das Heilige Kreuz finden und es retten. Das schwor ich bei meiner Seele.
ier Tage blieben wir in Kadiriq, einer von der Sonne verbrannten Siedlung am Ufer eines schlammigen Sees, und sammelten unsere Kräfte für die Tage, die da kommen mochten. Ich vermutete, die Seldschuken hatten den Marsch von Anavarza bisher absichtlich so hart wie möglich gestaltet, um die Starken von den Schwachen zu trennen. Die Seldschuken wollten Sklaven, die man auch verkaufen konnte, und jene, die stark genug waren, eine solche Qual zu überleben, würden einen ansehnlichen Preis bringen.
Den ersten Tag in der Siedlung schlief ich fast nur, und den zweiten verbrachte ich im Schatten eines kleinen Baumes liegend am Ufer des Sees. Ich konnte es nicht ertragen, längere Zeit ohne den Anblick des Wassers zu sein, und mehrere Male ging ich schwimmen, um mich abzukühlen. Der Anblick des weißhäutigen Fremden, der in den flachen Wassern des Sees herumplanschte, rief große Heiterkeit bei den Kindern von Kadiriq hervor, die gekommen waren, um sich die Gefangenen anzusehen.
In dieser Nacht gab man uns zum ersten Mal seit der Schlacht auch etwas zu essen: flaches Brot, dünn und trocken und zäh wie Pergament und jeweils eine Schüssel mit in Brühe gekochten Linsen. In der zweiten Nacht gab man uns wieder Brot und Linsen und ein paar ledrige Streifen Ziegenfleisch.
Am dritten Tag erschien Emir Ghazi. Er zog mit einer Karawane, was heißen soll, dass er all seine Berater, Lehnsmänner und eine Leibgarde von dreihundert oder mehr Kriegern bei sich hatte. Allesamt waren sie beritten, und ihnen folgte ein langer Tross von Packtieren, zumeist Pferde. Allerdings sah ich auch die seltsamen Wüstenwesen, die man Kamele nennt, und die wie ein Schiff schwanken, wenn sie gehen. Mit ihren buckligen Rücken, den langen Hälsen und den kleinen, flachen Köpfen überragten sie alles und jeden und strahlten eine herrschaftliche Ruhe aus.
Die Neuankömmlinge brachten auch noch ein paar Dutzend Gefangene mit. Rasch verbreitete sich das Gerücht, dass die Seldschuken die Grenzstadt Marash eingenommen hatte, wodurch der Emir sich mit weiteren christlichen Sklaven und Schätzen hatte versorgen können.
Ghazi schlug sein Lager auf der uns gegenüberliegenden Seite des Sees auf. Ich zählte mehr als hundert Zelte, bevor ich das Interesse verlor. Die Dorfbewohner waren überglücklich, dass ihnen die Ehre zuteil wurde, den Emir zu beherbergen, und in dieser Nacht hielten sie ein großes Fest in seinem Namen ab. Ein Dutzend Kühe wurden geschlachtet und mehr als zwanzig Ziegen und Schafe. Schon bald war das ganze Dorf in Feierstimmung, wovon sogar wir Gefangenen etwas hatten, denn auch wir sollten etwas von dem Festmahl abbekommen. In dieser Nacht hatten wir nicht nur Brot - diesmal dicke, flache Laibe, die mit etwas gewürzt waren, das man Anis nannte -, man gab uns auch mit Feigen gefülltes Lamm. Das Lamm war sehr gut, und es war nicht einer unter uns, der seine
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